Am Abend interviewt Bernadette Schoog Thomas Hitzlsperger im Tübinger Sparkassen-Carré. Vorher trifft sie sich mit WNA im Café Binder auf ein Gespräch über Mäzene aus der Wirtschaft, Dialoge mit Selbsterkenntnis und verrät, warum sie mit dem Fernsehen Schluss gemacht hat.
WNA: Bei „Schoog im Dialog“ empfangen Sie seit über 15 Jahren regelmäßig Prominente zum Talk. Was ist für Sie das Besondere an dieser Gesprächsreihe?
Schoog: Beim Fernsehen hatte ich für viele meiner Gesprächspartner häufig nur wenige Minuten Zeit. Bei meiner Gesprächsreihe habe ich diesen Zeitdruck nicht. Ich kann mich mit meinen Gästen über alle möglichen Facetten unterhalten, mal eine Stunde, mal zwei. Solange der Gast, das Publikum und ich Lust haben. Zudem ist es ein großes Privileg, dass ich ganz allein entscheiden kann, wen ich einlade. Als ich mit der Reihe angefangen habe, hätte ich niemals gedacht, dass sie so lange laufen würde.
Wie bereiten Sie sich auf einen solchen Abend vor?
Ich lese unheimlich viel über den Gast. Ich will ganz viele Dinge wissen und generiere aus diesem Wissen meine Fragen. Ein Beispiel: Roger Willemsen war der Erste in der Reihe. Er war in seiner Studentenzeit Nachtwächter. Deshalb habe ich ihn gefragt: „Was ist denn Ihre dunkle Seite?“ Solche Fragen führen auf eine andere Ebene. Sie gelingen nicht immer, aber die akribische Vorbereitung hilft dabei, sie zu finden.
Ich mache keinen Krawall-Talk
Bernadette Schoog
Gibt es Fragen, die für Sie tabu sind?
Man merkt relativ schnell, ob jemand Lust hat, private Dinge über sich zu erzählen, über seine Beziehung, über seine Kinder. Möchte sie oder er das nicht, ist das vollkommen in Ordnung. Ich mache keinen Krawall-Talk. Ich möchte Vertrauen gewinnen und gute Geschichten hören. Das gelingt mir nur, wenn ich einen Boden bereite, auf dem sich mein Gast wohlfühlt.
Welcher Moment Ihrer Gesprächsreihe ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Natürlich ist jede Person besonders, aber da fällt mir gleich eine Geschichte mit Volker Schlöndorff ein. Als Fünfjähriger musste er mitansehen, wie seine Mutter am Herd in Flammen aufging. Man hat ihn sofort ins Kinderzimmer gesteckt und die Tür zugemacht, um die Mutter zu versorgen. Schlöndorff hat an seine Tür gehämmert, die Mutter ist an den Folgen des Unfalls gestorben. Und während er das auf der Bühne erzählte, wurde ihm klar, dass er diese Erinnerung unbewusst in all seinen Filmen verarbeitet. Schon in der „Blechtrommel“, in der Szene, in der der kleine Oskar Matzerath die Toilettentür bearbeitet, um rauszukommen. Wenn so ein Moment entsteht, dass der Gast im Gespräch über sich reflektiert und zu einer Erkenntnis kommt, dann ist das großartig und ich habe meine Job gut gemacht.
Sie haben eine Biografie über den Unternehmer Reinhold Würth geschrieben und moderieren Veranstaltungen der Würth-Stiftung. Brauchen wir in Deutschland mehr Mäzene wie ihn, die ihre Heimatregion finanziell unterstützen?
Unbedingt. Ich bin durch die Arbeit mittlerweile mit Reinhold Würth und seiner Frau Carmen befreundet und ich bin immer wieder fasziniert, wie er aus einem kleinen Betrieb einen Weltkonzern gemacht hat. Dass er einen großen Teil des Geldes, das er sich hart erarbeitet hat, in soziale und kulturelle Projekte steckt, die der Allgemeinheit zugutekommen, finde ich bewundernswert. Er gibt der Gesellschaft etwas zurück. Diese Art von „Eigentum verpflichtet“ kann vielleicht nur jemand leben, der auch Zeiten kennt, in denen es noch nicht so glattgelaufen ist. In Deutschland haben wir zu wenige, die Kunst und Kultur unterstützen. Vor 100 Jahren war es noch gang und gäbe, dass Unternehmer Künstlern Geld für ihre Arbeit zugesteckt haben. Heute geht es vielen nur noch um die Kosten-Nutzen-Rechnung.
Kritische Stimmen könnten entgegnen, dass es problematisch ist, wenn Einzelne zu viel Einfluss nehmen können. Können Sie auch diese Sichtweise nachvollziehen?
Jein, irgendwie ist das auch eine deutsche Neiddebatte. Ich kann nur über Reinhold Würth sprechen. Er hat sich über einen langen Zeitraum mit viel Fleiß, Geschick und Know-how etwas erarbeitet. Und trotzdem sagen manche Leute: Da hat einer zu viel. Das ist eine sehr deutsche Denkweise. Schließlich können von seinem finanziellen Engagement viele profitieren. Man kann kostenfrei in Museen, man kann Veranstaltungen besuchen, man kann auf dem Land tolle Konzerte erleben. Und was wäre, wenn es den Weltmarktführer Würth nicht gäbe? Die B 19 wäre vielleicht immer noch ein buckliger Waldweg.
Vor über zehn Jahren haben Sie dem Fernsehen den Rücken gekehrt. Bereuen Sie diese Entscheidung?
Nein. Ich hatte damals das Gefühl, dass das Medium ausgereizt ist. Viele Verantwortliche denken immer noch, dass sie den irrsinnigen Spagat schaffen können, sowohl 20-Jährige als auch 80-Jährige mit ein- und demselben Format zu fesseln. Daran glaube ich nicht. Das Fernsehen in der jetzigen Form wird es in zehn Jahren nicht mehr geben. Meine Kinder sind Mitte 30. Die holen sich das, was sie interessiert, aus der Mediathek. Lineares Fernsehen schauen sie überhaupt nicht mehr.
Die Öffentlich-Rechtlichen hätten die Gelder für mutige Projekte, um das Medium Fernsehen weiterzuentwickeln.
Absolut, aber es werden meiner Ansicht nach nicht immer die richtigen Prioritäten gesetzt. Und bei den Zuschauern bleibt nur hängen, dass die Öffentlich-Rechtlichen ihr Geld nicht ins Programm, sondern in teure Massagestühle oder ausgefallene Pflanzenwände investieren, wie in Berlin.
Als Coach zeigen Sie Führungskräften, worauf es bei Präsentationen und beim Umgang mit Medien ankommt. Wie lässt sich das Publikum am besten erreichen?
Man muss sich dahingehend trainieren, dass man der jeweiligen Situation mit der vollen Konzentration begegnet. Man darf keine anderen Gedanken zulassen und muss sich in den Tunnel begeben. Präsenz ist das Zauberwort. Man darf an nichts anderes mehr denken. Und man muss sehr gut vorbereitet sein.
Wie behalten Sie selbst den Fokus?
Wenn der Anfang einer Moderation gut läuft, ist meistens schon viel gewonnen. Die ersten fünf Minuten müssen sitzen. Ich muss das Publikum emotional abholen, dann folgt es mir auch über brüchiges Gelände. Wenn man vor anderen spricht, muss man diese Aufgabe als die Wichtigste für diesen Moment begreifen. Ich habe hin und wieder wirklich Schwieriges verdauen müssen und trotzdem zwei Stunden später eine Sendung moderiert. Es ist machbar, durch große Konzentration alles andere für eine Weile auszuklammern und fokussiert zu bleiben. Anders geht es nicht.
Das Älterwerden im Job ist für Frauen nach wie vor ein größeres Problem als für Männer
Bernadette Schoog
Sie haben in der Öffentlichkeit die mangelnde Gleichberechtigung von Frau und Mann beklagt. Haben es junge Frauen heute nicht leichter, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren?
Ich befürchte, wir erleben derzeit sogar einen Rückschritt. Das ist schrecklich. Ich hatte das große Glück, dass ich mir mit meinem Mann die Familienarbeit wochenweise teilen konnte. Das war ein Glücksfall, ist aber für viele nicht möglich. Ich habe das Gefühl, dass viele wieder ein konservativeres Bild von sich haben. Als junge Frau bekommt man schwieriger einen guten Job, weil man schwanger werden könnte. Später hat man Kinder, was auch wieder nicht gern gesehen wird, und nochmal später ist man vielleicht schon wieder zu alt. Das Älterwerden im Job ist für Frauen übrigens auch nach wie vor ein größeres Problem als für Männer.
Haben Sie das selbst erlebt?
Ja. Als ich noch beim Fernsehen gearbeitet habe, hat man mir signalisiert: In zwei Jahren wirst du 50. Wir wissen nicht, ob wir dich noch auf dem Schirm halten können. Das war die gängige Einstellung. Für Männer gilt das natürlich nicht, sie dürfen auch noch mit grauen Schläfen moderieren. Wir müssen dieses Tabu brechen, dass Frauen nur jung und schön sein dürfen. Frauen dürfen älter werden.
Zahlen zeigen, dass die Beschäftigungsquote von Frauen in Deutschland – nach einem Anstieg in der Vor-Corona-Zeit – wieder fast auf den Stand von vor zehn Jahren zurückgegangen ist. Junge Frauen kümmern sich verstärkt um die Hausarbeit und die Kinder. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Ich rate allen Frauen, auch nach der Geburt eines Kindes mit einem Fuß im Beruf zu bleiben und zumindest einen Tag in der Woche zur Arbeit zu gehen. Man sollte den Kontakt zur Arbeitswelt nicht abreißen lassen. Für die Kinder ist es natürlich schön, wenn die Eltern Zeit haben. Man sollte sich aber bewusst sein, dass das Leben nach den vielleicht 20 intensiven Jahren mit den Kindern ja auch noch weitergeht! Wenn die Kinder aus dem Haus sind, sollte doch nicht einfach der Hammer fallen nach dem Motto: Das war’s. Gerade da kann noch vieles anfangen!
Sie haben also noch keine Lust auf Ruhestand. Was sind Ihre nächsten Pläne?
Ich möchte meine Gesprächsreihen weiterführen, in Tübingen, in Reutlingen, in Baden-Baden, in Künzelsau. Und ich würde gerne nochmal einen Roman schreiben. Eine Idee habe ich schon. /
(Dieses Interview erschien in der WNA-Ausgabe 4+5/2024.)
Vita
Bernadette Schoog, Jahrgang 1958, wurde in Kevelaer (Nordrhein-Westfalen) geboren. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Sie studierte Literatur- und Kommunikationswissenschaften sowie Erwachsenenbildung und arbeitete unter anderem als Dramaturgin.
Sie wechselte zum Radio und danach zum Fernsehen, moderierte Sendungen wie das „ARD-Buffet“ oder die „Landesschau Baden-Württemberg“.
2010 machte sie sich selbstständig, war Dozentin an der Uni Tübingen, hält Vorträge, gestaltet Audioguides für Kunstausstellungen und verfasst Publikationen wie eine Biografie über Reinhold Würth.
2008 startete sie in Tübingen ihre eigene Gesprächsreihe „Schoog im Dialog“, die es mittlerweile auch in weiteren Städten gibt.