Rewe-Chef Lionel Souque

„Handel? Gefällt mir immer noch!“

Reutlingen hat einen Platz in seinem Herzen. Und der 1. FC Köln. Beruflich ist Lionel Souque seit 2017 CEO der Rewe Group und Chef von 385.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Im WNA-Interview spricht er über Preisekämpfe, die Grenzen des Wachstums – und er erklärt, warum Rewe immer noch eine Genossenschaft ist. 

Lionel SouqueHändler durch und durch: der gebürtige Franzose Lionel Souque. Foto: Michael Breuer | photokonzept.de

WNA: Herr Souque, Reutlingen hat eine besondere Bedeutung für Sie. Erzählen Sie uns, warum?
Souque: Ich habe von 1991 bis 1993 in Reutlingen an der ESB Business School studiert. Viele starke Freundschaften sind damals entstanden, die sind heute noch da. Und ich habe in Reutlingen meine Frau kennengelernt. Es war eine richtig gute Zeit und es fühlt sich nicht so an, dass das schon 30 Jahre her ist.  

Wenn Sie heute nach Reutlingen kommen: Wie hat sich die Stadt verändert?
Ich komme leider viel zu selten nach Reutlingen. Zuletzt war ich vor fünf Jahren als Gast an der Hochschule und konnte mit Studierenden sprechen. Das war sehr erfrischend. Klar, man denkt dann an die alten Zeiten. Aber ich schaue natürlich heute vor allem auch, wo unsere Märkte sind und gehe rein, so wie in den Penny in der Nähe der Hochschule.

Sie arbeiten faktisch Ihr ganzes Berufsleben für Rewe. Was macht Handel für Sie so besonders?
Handel ist sehr lebendig, man hat viel mit Menschen zu tun. Wir haben jede Woche 50 Millionen Kundinnen und Kunden. Und Lebensmittel sind einfach spannend. Jede und jeder kennt den Supermarkt, weil man regelmäßig einkaufen geht. Auch aus Mitarbeitersicht ist der Handel vielseitig – vom Vertrieb über Marketing und IT bis zu Logistik und Einkauf. Das gefällt mir immer noch.

„Wir brauchen Fachkräfte aus dem Ausland. Da müssen wir als Land mehr investieren“

Lionel Souque

Trotzdem muss sich der Handel, wie viele andere Branchen, dem Fachkräftemangel stellen.
Wir haben im vergangenen Jahr 50.000 neue Beschäftigte rekrutiert und haben dafür über eine halbe Million Bewerbungen bearbeitet. Das ist schon viel. Aber es gibt Bereiche, in denen wir weniger Bewerbungen bekommen, etwa für die IT. Nicht immer passen die beliebtesten Ausbildungen und Qualifikationen zu den aktuellen Bedürfnissen des Arbeitsmarkts. Wir brauchen auch Fachkräfte aus dem Ausland. Da müssen wir als Land mehr investieren. Wir müssen ausländische Fachkräfte an die Unternehmen heranführen.

Wie begeistern Sie junge Leute wieder für eine Karriere im Handel?
Viele junge Leute haben sich, gerade nach Corona, daran gewöhnt, im Homeoffice zu arbeiten. Das geht aber nicht in allen Bereichen des Handels. In der Logistik oder im Verkauf ist es zum Beispiel nicht möglich. Die Mehrheit unserer 385.000 Beschäftigten arbeitet vor Ort, in den Geschäften auch samstags. Andererseits kann man im Handel als junger Mensch, von der Hochschule kommend, schnell Verantwortung übernehmen und Karriere machen, größere Teams führen. Ein Marktleiter hat bei uns 30 oder 40 Mitarbeiter. Bei Rewe kann man sich selbstständig machen und als Unternehmer auch finanziell sehr erfolgreich sein. Klar, der Inhalt des Jobs ist wichtig, das Gehalt auch, aber entscheidend ist die Kultur. Bei uns ist die heute ganz anders als vor 20 Jahren. Wir leben bewusst Miteinander und Wertschätzung.  

Zuletzt gab es Schlagzeilen, weil sich die großen Handelsunternehmen mit den Herstellern Preiskämpfe liefern. Was ist der Grund dafür?
In den vergangenen Monaten ist die Inflation im Handel zurückgegangen. Viele Rohstoffe haben wieder das Preisniveau von vor dem Krieg. Aber es gibt Lieferanten, die weiter versuchen, höhere Preise durchzusetzen. Oft sind es internationale Firmen, die jetzt deutlich mehr Rendite machen wollen. Das wollen wir bremsen.

Lionel Souque unterhält sich mit Studierenden der Hochschule ReutlingenZurück in Reutlingen: Bei seinem letzten Besuch in der Region diskutierte Lionel Souque (r.) mit Studierenden der Hochschule Reutlingen, an der er einst auch selbst studiert hat. Foto: Trinkhaus/GEA-Archiv

Ist der Preis das einzige Argument für einen Kauf bei Ihnen?
Nein, auf keinen Fall. Unser Kunde erwartet mehr, er will Service, Beratung und ein gutes Umfeld haben. Bei uns arbeiten mehr Mitarbeiter, wir haben ein breiteres Sortiment und mehr Bio-Artikel als andere Anbieter. Aber auch der Preis muss stimmen. Wir sorgen dafür, dass er bei unseren Mitbewerbern nicht besser ist als bei uns.

In Deutschland wird im Verhältnis zum Einkommen für Lebensmittel sehr viel weniger Geld ausgegeben als etwa in Frankreich. Schmerzt es Sie als gebürtiger Franzose, dass die Deutschen in diesem Bereich so wenig investieren?
Natürlich würde ich mich freuen, wenn die Deutschen mehr in Lebensmittel investieren würden, gerade auch als Chef der Rewe Group. Mein Eindruck ist aber, dass es seit meinem Eintritt in die Rewe Group vor 27 Jahren deutlich besser geworden ist. Die Deutschen interessieren sich immer mehr für Lebensmittel, für gesundes Essen, sie kochen mehr. Wenn ich mir allein anschaue, wie viele Kochsendungen im Fernsehen laufen …

Hintergrund

1927 schlossen sich 17 Einkaufsgenossenschaften zum „Revisionsverband der Westkaufgenossenschaften“ – kurz: Rewe – zusammen, um den gemeinsamen Einkauf von Lebensmitteln zu organisieren.

Die Rewe Group hat in Deutschland jede Woche rund 50 Millionen Kundinnen und Kunden.

Aber deswegen kocht ja noch niemand …
Doch, doch, ich höre immer mehr von jungen Leuten, die kochen. Es gibt Blogs, bei denen man mitkochen kann. Vielleicht ist es hier noch nicht wie in Frankreich oder Italien, wo die Großmutter am Wochenende für die ganze Familie kocht – und alle machen mit. Aber die Bedeutung von bewusster Ernährung und Genuss wird größer.

Rewe verteilt seit einigen Wochen keine Werbeprospekte mehr. Das ist gut für die Umwelt, verändert aber auch den Kontakt zum Kunden, oder?
Rewe hat bisher 25 Millionen Prospekte pro Woche verteilt. Das haben wir ja nicht einfach so gemacht. Und trotzdem wissen wir, dass viele gar nicht beim Kunden angekommen sind oder nicht gelesen wurden. Wir haben weiterhin wöchentlich 300 Artikel im Angebot. Die Kundinnen und Kunden haben nach wie vor viele Möglichkeiten, sich zu informieren, ehe sie in den Markt kommen: über die Website, über unsere App oder über Whatsapp. Den Prospekt gibt es noch, nur eben nicht mehr auf Papier. 

„Das Wachstum bei der Zahl neuer Lebensmittelmärkte wird abnehmen“

Lionel Souque

Sehen Sie keine Gefahr, ältere Kundinnen und Kunden zu verlieren?
Wir sollten die älteren Leute nicht unterschätzen. Viele von ihnen sind online unterwegs, immer mehr nutzen ein Smartphone. Wichtig ist, dass der Zugriff auf die Informationen einfach ist, dann erreicht man die Leute auch. Ich kann nach den ersten Erfahrungen sagen, dass die Umsätze auch ohne gedruckte Prospekte auf dem üblichen Niveau liegen. 

Der Lebensmitteleinzelhandel ist seit Jahren von zusätzlichen Läden und Flächen geprägt. Gibt es aus Ihrer Sicht Grenzen des Wachstums?
Ja, die gibt es. 100 Neueröffnungen pro Jahr sind nicht 100 ganz neue Märkte Es sind Verlagerungen von kleineren auf größere oder bessere Standorte – oder wir bauen einen Markt an gleicher Stelle neu. Die Größe der deutschen Bevölkerung ist relativ stabil, deswegen wird das Wachstum bei der Zahl der Märkte abnehmen. Eher wächst noch die Verkaufsfläche, aber auch das begrenzt.  

Rewe ist eine Genossenschaft und trotzdem ein riesiges Unternehmen. Gibt es die genossenschaftliche Kultur noch?
Doch, sehr stark. Der Chef des Aufsichtsrates ist ein Kaufmann und in allen Gremien sind Kaufleute, die selber Familienunternehmer sind und Rewe-Märkte führen. Die genossenschaftliche Kultur ist eine der großen Stärken unseres Unternehmens. Wir sind eben nicht an der Börse und ich muss nicht jedes Quartal Fragen von Finanzinvestoren beantworten, nur mit dem Ziel, kurzfristig den Börsenkurs zu erhöhen. Unsere Genossen denken an die nächste Generation, die die Märke übernehmen soll. Wir investieren in Zukunftsthemen wie Logistik, Technologie, Infrastruktur und Beschäftigte. 99 Prozent des Ergebnisses bleiben in der Firma.  

Wenn Sie nicht für Rewe unterwegs sind oder Zeit mit Ihrer Familie verbringen, begeistern Sie der Fußball und der 1. FC Köln. Wie oft schaffen Sie es ins Stadion?
Fast zu jedem Heimspiel. In der vorigen Saison dürften es 15 von 17 Spielen gewesen sein. Zu Auswärtsspielen schaffe ich es eher selten. Als Vorsitzender des Vereinsaufsichtsrates schaue ich auch schon einmal beim Training vorbei. Da treffe ich dann Geschäftsführer Christian Keller, übrigens ebenfalls ESB-Absolvent.

Wie viel Fantum steckt dahinter und wie viel Geschäft?
Rewe ist sehr engagiert im Sport, nicht nur als Trikotsponsor des 1. FC Köln. Wir sind im Basketball, Handball und Fußball aktiv – von den Amateuren bis zu den Profis. Wir sind ja auch in Stuttgart oder Heidenheim präsent, unabhängig von meiner Leidenschaft für Köln. Die Werte des Mannschaftssports passen zu Rewe.  

Hätte auch der SSV Reutlingen eine Chance, Rewe als Trikotsponsor zu gewinnen?
Solche Entscheidungen treffen wir vor Ort. Da muss man mit den Kaufleuten in der Region sprechen. /

(Dieses Interview erschien in der WNA-Ausgabe 8+9/2023.)

Vita

Lionel Souque wurde 1971 in Paris geboren.

1996 trat er in die Rewe Group ein, war zunächst für Penny und dann für die österreichischen Billa-Supermärkte tätig. Über den Vorstand von Rewe International in Wien kam er 2009 als CEO zu Rewe Deutschland. Seit Juli 2017 ist er CEO der Rewe Group. Sein Vertrag wurde im vorigen Jahr bis Ende 2028 verlängert.

Lionel Souque hat unter anderem an der ESB Reutlingen studiert. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und wohnt mit seiner Familie in Köln.

Souque ist Vorsitzender des Aufsichtsrats des 1. FC Köln und Mitglied der Vollversammlung der IHK Köln.