Journalist Sandro Mattioli

Die Mafia ist nicht „Der Pate“

Sandro MattioliFoto: Lorenzo Maccotta

„Alles, was Profit verspricht, ist Gegenstand mafiöser Betätigung“, warnt der Investigativjournalist und Mafia-Experte Sandro Mattioli. Im WNA-Interview spricht er über Baden-Württemberg als Mafia-Hotspot und erklärt, wie die Clans hierzulande organisiert sind.

WNA: In Metzingen gab es 2018 Razzien und die Festnahme eines mutmaßlichen Mafia-Mitglieds. Ein Mord auf offener Straße in Hechingen im Jahr 2016 soll auch auf das Konto von Clan-Kriminellen gehen. Wie vernetzt und aktiv ist die Mafia in der Region Neckar-Alb?
Mattioli: Der Fall in Hechingen hat gezeigt, dass die Mafia auch im ländlichen Gebiet vertreten ist. Es gibt allerdings zu wenig Ermittlungen in der Region – zumindest nach meinem Wissen. Ich habe etwa Informationen erhalten, dass auch in Tübingen Mafia-Aktivitäten zu verzeichnen sind. Man schaut aber oft nicht so genau hin, wie man es müsste. Bezeichnend war 2018 eine Operation bei Stuttgart. Dort wurde ein Restaurant durchsucht und der Inhaber festgenommen. Sofort kamen Leute aus Metzingen und boten der Frau des Wirts Unterstützung an. Auch wegen solcher Vorkommnisse muss man davon ausgehen, dass es hier stärkere Mafia-Aktivitäten gibt als bekannt. Auch in früheren Ermittlungsverfahren gab es immer wieder einzelne Erkenntnisse, die in Richtung der Region gingen.

Man liest immer wieder, Baden-Württemberg sei eine „Mafia-Hochburg“. Ist das wirklich so oder arbeitet die Polizei hier einfach besser? Zuletzt ist mit der „Operation Platinum“ in der Bodenseeregion ein bedeutender Schlag gegen die Mafia-Kriminalität gelungen.
Baden-Württemberg ist mit 181 bekannten Personen das Bundesland in Deutschland mit der höchsten Mafiadichte. Das sind neue Zahlen des Innenministeriums. Im Vergleich sind es extrem hohe Zahlen – relativ und absolut. Das Interessante in Baden-Württemberg ist auch, dass wir sehr viele verschiedene Spots und auch in der Fläche viele Mafia-Niederlassungen haben. Stuttgart ist ein absoluter Hotspot, das Bodenseegebiet, Karlsruhe, Pforzheim, auch Heilbronn und Mannheim. Im Grunde zieht sich das quer durchs Ländle. Zu den polizeilichen Ermittlungen ist es wichtig zu sagen, dass die Polizei nur so aktiv ist, wie es die Staatsanwaltschaft ermöglicht. Ermittlungen müssen beauftragt werden. Und hier haben wir in Teilen des Landes ein Problem, denn die Stuttgarter Staatsanwaltschaft fährt eine sehr ungünstige Politik, was die Mafia-Bekämpfung anbelangt.

Was läuft schief?
Aus meiner Sicht arbeitet man kontroproduktiv und ist nicht sehr gewillt, gegen die Mafia vorzugehen. Ich denke, dass bei Polizeioperationen Leute geschont wurden. Staatsanwaltschaften aus anderen Bundesländern sind daher eingesprungen und haben die Ermittlungen übernommen. Das ist gravierend, wenn man bedenkt, wie massiv die Mafia hier vertreten ist. Wir bräuchten zudem ein größeres Instrumentarium zur Kriminalitätsbekämpfung und Prävention, damit sich diese Leute nicht weiter breit machen können. Das ist auch wichtig für den Schutz vor Infiltration und Korruption – nicht nur der Politik, sondern auch der Wirtschaft. De facto gibt es diese Maßnahmen aber leider nicht überall.

Haben Sie dafür eine Erklärung?
Ehrlich gesagt: nein. Das ist eine Frage, die mich schon lange beschäftigt. Ich habe die Situation in Stuttgart schon seit 2012 im Blick und trotzdem keine Erklärung gefunden. Ob Korruption im Spiel ist, ob es einfach ein mangelnder politischer Wille ist? Fakt ist, dass sich über einige Politikergenerationen hinweg nichts geändert hat. Mafia-Analysen zeigen für Italien, dass es dort dichte Netzwerke auf mehreren gesellschaftlichen Ebenen gibt. Vielleicht ist das hier auch so und man will sozusagen nicht gegen Freunde oder Unterstützer vorgehen? Ich weiß es nicht. Italien kann man sicher nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen. Aber andere Staatsanwaltschaften in Baden-Württemberg beauftragen Ermittlungen. Da ist es sicher kein Zufall, dass man in Stuttgart untätig ist.

„In Baden-Württemberg ist die Mafia massiv vertreten“

Sandro Mattioli

Wie arbeitet die Mafia hier vor Ort? Sind das „Ableger“ der Clans in Italien oder sind es eigenständige Organisationen?
Die italienische ’Ndrangheta, die hier vor Ort vorwiegend aktiv ist, lässt nur eine begrenzte Autonomie der Einheiten zu, keine totale. Man kann sich das vorstellen wie bei einem Automobilkonzern: Es gibt Teilunternehmungen mit begrenzter Selbstständigkeit, die Dinge, die sie betreffen, eigenständig regeln. Was drüber hinausgeht und den Gesamtkonzern betrifft, muss auch vom Gesamtkonzern genehmigt werden. Alles passiert in enger Absprache mit Kalabrien. Es gibt strenge Hierarchien und Gremien mit Regeln, die unbedingt beachtet werden müssen.

Worauf liegt der Schwerpunkt – Geldwäsche, Drogenhandel?
Mit Sicherheit ist Geldwäsche ein Schwerpunkt der Aktivitäten, aber auch Drogenhandel und Falschgeld sind Standbeine. Italienische Mafiosi stehen aber nicht im Park und verkaufen dort Stoff. Sie bewegen sich mindestens zwei Ebenen darüber und beliefern die Zwischenhändler. Die Mafia hier tätigt auch Investments im Bereich der erneuerbaren Energien, ins Veranstaltungsgewerbe oder in Immobilien. Aus italienischen Akten wissen wir, dass es ein breites Spektrum an Aktivitäten ist, die über Grenzen hinweg gehen. Alles was Profit verspricht, ist Gegenstand mafiöser Betätigung.

„Unternehmen sollten bei Investments im Detail nachfragen, woher das Geld kommt“

Sandro Mattioli

Ist die italienische Mafia die aktivste Organisation oder bekommt sie von anderen kriminellen Vereinigungen „Konkurrenz“? Oder arbeitet die albanische Mafia mit der italienischen zusammen?
Die ’Ndrangheta ist die mächtigste Organisation weltweit und sie hat auch Vorbildfunktion. Andere Kriminelle schauen an ihr hoch. Natürlich gibt es einen Wettstreit zwischen den Organisationen, aber sie ergänzen und unterstützen sich auch, häufig auf
Projektebene.

Reichen die hiesigen Gesetze aus?
Wenn man die Gesetze konsequent anwenden würde, könnte man schon viel erreichen. Sie sind nicht so gut wie die italienischen, aber wenn man will, kann man damit weit kommen. Im Bereich der arabischen Clan-Kriminalität mit arabischem Hintergrund etwa war der politische Wille für Ermittlungen groß. Man hat das große Besteck ausgepackt und konnte viele Erkenntnisse gewinnen. Gerade um Mitglieder der italienischen Clans herum gibt es aber eine große Grauzone, die mit ein Problem darstellt. Es gibt nicht einfach die Guten und die Kriminellen, sondern auch die dazwischen, die extrem wichtig sind für das Fortbestehen krimineller Organisationen, weil sie illegale Geschäfte ins Legale holen. Diese Leute sind sehr oft Deutsche.

Kann man erkennen, ob der Stamm-Italiener zur Mafia gehört oder ob das Restaurant selbst Opfer von Schutzgeld-Erpressungen ist?
Schutzgeld-Erpressungen in klassischer Form passieren tatsächlich nicht mehr häufig, das passiert eher über den Handel. Wirten werden Produkte aufgezwungen, die sie im Restaurant anbieten müssen. Wir müssen uns auch von dem Bild lösen, dass nur Wirte der Mafia angehören. Es gibt eine starke Basis im Gastgewerbe, aber andere Mitglieder treten zum Beispiel auch als Investoren auf. Und nein, die Mafia ist nicht „Der Pate“, sie wird oft gar nicht als solche wahrgenommen. Man kann es niemandem ansehen, ob er ein Mafioso ist oder nicht.

„Man kann niemandem ansehen, ob er ein Mafioso ist oder nicht.“

Sandro Mattioli

Wie schützt man seinen Betrieb davor, in Kontakt mit Geldwäsche-Aktivitäten zu geraten, vermeintlich auch unwissend?
Grundsätzlich hilft es, wenn man wachsam und kritisch ist. Es ist Vorsicht angesagt, wenn jemand Investments anbietet. Unternehmen sollten im Detail nachfragen, woher das Geld kommt. In unserem Verein Mafia-neindanke e. V. werden wir von Unternehmen angesprochen, denen Geschäftsangebote verdächtig vorkommen. Die Erfahrung zeigt, dass man kriminelle Aktivitäten häufig erahnen kann. Im LKA gibt es ebenfalls kompetente Stellen, die man zu Rate ziehen kann. Die Polizei ist auch froh, wenn sie Hinweise bekommt. Und auch, wenn es Privatsache ist: Kokainkonsum macht angreifbar. Der Konsum ist weiter verbreitet als man denkt. Es bringt einen zum einen in Kontakt mit der kriminellen Szene und zum anderen macht es erpressbar.

Wie kann man sich Ihre Recherchen zur Mafia vorstellen?
Seitens der Medien gibt es leider nur ein geringes Interesse, investigative Recherchen zu veröffentlichen. Zudem sind die rechtlichen Rahmenbedingungen sehr ungünstig und machen solche Recherchen oft fast unmöglich. Daher sind auch wenig Mittel im Spiel. Deshalb ist die Arbeit in einer NGO wie unserem Verein extrem wichtig. Wir haben als NGO die Möglichkeit zu sensibilisieren, wir gestalten beispielweise kleine Anfragen an Parlamente mit und machen Veranstaltungen. Nur mit zivilgesellschaftlicher Hilfe kann man das Dunkelfeld der Kriminalität ans Licht bringen. Als Journalist arbeite ich mit vielen Akten aus Italien. Wenn man lange genug recherchiert, erhält man tiefgreifende Erkenntnisse. Das ist ein Wissenstransfer aus Italien nach Deutschland.

Werden Sie bedroht?
Ja, das ist unvermeidlich. Bislang wurde ich dreimal in unterschiedlicher Qualität eingeschüchtert – in Italien, in der Schweiz und hier in Deutschland. /

(Dieses Interview erschien in der WNA-Ausgabe 4/2022.)

Vita

Der Journalist und Mafia-Experte Sandro Mattioli wurde 1975 in Heilbronn geboren. Nach seinem Rhetorik-Studium in Tübingen absolvierte er ein Volontariat bei der Stuttgarter Zeitung und arbeitete als freier Reporter, unter anderem in Rom. Seit 2012 ist er investigativer Journalist, Gesprächsgast in Funk und Fernsehen sowie Keynote-Speaker und hält Vorträge in Unternehmen. Zudem ist Mattioli seit 2012 Vorsitzender des Vereins Mafianeindanke e. V. mit Sitz in Berlin, der sich gegen die organisierte Kriminalität und Mafia in Deutschland einsetzt.