Einschätzungen zur US-Wahl

"Biden wird in der Sache nicht angenehmer sein"

Der Kampf ums Weiße Haus bleibt spannend. Die IHK sprach mit den US-Experten Michael Butter, Professor für Amerikanistik an der Uni Tübingen, und Felix Weinmann, Interimsdirektor des Deutsch-Amerikanischen Instituts Tübingen.

Biden wird in der Sache nicht angenehmer seinFoto: REDPIXEL-stock.adobe.com

Professor Michael Butter, Universität Tübingen:

Es läuft auf eine Präsidentschaft von Joe Biden heraus. Was bedeutet das für die deutsch-amerikanischen Beziehungen?
Ich schätze, dass sich die Beziehungen im Ton deutlich entspannen werden. Der Präsident ist federführend für die Außenpolitik, er wird zu einem Ton der Kooperation und Höflichkeit zurückkehren, wie wir das traditionell kennen und wie er auch unter Obama gepflegt wurde. In der Sache wird Biden aber vermutlich nicht immer ein angenehmerer Partner sein als Trump. Er wird sicherlich auch eine eher protektionistische Politik verfolgen, er wird auch auf die Zwei-Prozent-Beteiligung an der NATO insistieren. Aber der Ton wird ein ganz anderer sein.

Unabhängig davon, wer das Rennen macht: Was sind die großen Aufgaben der kommenden Präsidentschaft?
Das ist sehr schwer zu sagen, weil die Aufgaben völlig unterschiedlich definiert werden. Wenn Biden das Rennen macht - und ich bin sehr zuversichtlich, weil er in allen offenen Staaten favorisiert ist - wird er sicherlich versuchen, die Spaltung des Landes zu verringern, was ihm nicht gelingen wird. Er wird versuchen, das Problem des Rassismus anzugehen und natürlich schwebt über allem die Corona-Pandemie. Hier wird Biden eine andere Politik verfolgen und versuchen, die Maßnahmen gegen die Pandemie national zu koordinieren. Dadurch, dass die Republikaner vermutlich den Senat verteidigen werden, wird es sehr schwierig für Biden, ein Konjunkturpaket zu beschließen. Würden die Demokraten neben der Präsidentschaft auch den Senat gewinnen, würde das Paket, über das schon monatelang verhandelt wurde, relativ schnell durchgedrückt werden.

Ist jetzt schon absehbar, welche Gruppe ausschlaggebend für die US-Wahl war beziehungsweise sein wird?
Was bislang eindeutig ist: Biden ist es gelungen, weiße Männer aus dem mittleren Westen ohne Collegeabschluss zurückzugewinnen und er hat es geschafft, in den Vorstädten zu punkten, bei den Frauen mit Collegeabschluss. Das sorgt dafür, dass die Staaten wie North Carolina und Georgia noch im Rennen sind. Seit Jahrzehnten stimmen Frauen eher für die Demokraten und Männer eher für die Republikaner.

Sie forschen auch zu Verschwörungstheorien. In Georgia hat eine QAnon-Anhängerin den Einzug ins Repräsentantenhaus geschafft. Ist das ein Ausrutscher oder ein Beleg dafür, dass solche Ideologien schon in der breiten Masse angekommen sind?
Die QAnon-Verschwörungstheorie im Besonderen sicherlich nicht, das ist auch in den USA ein Minderheitenphänomen. Diese Kandidatin hat sich zudem im Wahlkampf, wenn auch nur halbherzig, von dieser Ideologie distanziert. Was aber völlig klar ist: Vier Jahre Trump haben die Akzeptanz von Verschwörungstheorien in der politischen Kultur vergrößert. Das wäre vor acht Jahren noch undenkbar gewesen, dass sich jemand öffentlich dazu bekennt. Wir haben jemanden im Weißen Haus, der Verschwörungstheorien strategisch eingesetzt hat und auch jetzt dabei ist, zu behaupten, die Wahl sei gefälscht worden. Das hat er seit Monaten strategisch vorbereitet und das führt dazu, dass seine Anhänger in Arizona im Moment versuchen, Wahllokale zu stürmen und die Auszählung zu überwachen.

Sofern Biden Präsident wird: Was müsste er tun, um diese Leute zurückzuholen in eine gesellschaftliche Mitte? Kann er das überhaupt?
Ich glaube, dass es ganz, ganz schwierig ist, Leute zurückzuholen, die bereit sind, zur Waffe zu greifen. Es wird schon schwer genug, die Spaltung zu überwinden, weil Biden ohnehin ein sehr heterogenes Lager repräsentiert. Wenn man sich das Spektrum der demokratischen Partei anschaut, wären das Leute, die bei uns bei der Linken und der CDU wären. Je mehr er auf die Republikaner zugeht, desto schwieriger wird es für ihn, seine eigenen Leute am linken Spektrum bei der Stange zu halten und keine neuen Gräben aufzumachen. Die Demokraten wurden zusammengehalten durch das Feindbild Trump, aber sobald das weg ist, wird es auch wieder anders aussehen. Die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft ist so profund und hat solch strukturelle Ursachen. Joe Biden wird es nicht hinbekommen, das zu überwinden.

Felix Weinmann, Interimsdirektor des Deutsch-Amerikanischen Instituts Tübingen:

Es läuft auf eine Präsidentschaft von Joe Biden heraus. Was bedeutet das für die deutsch-amerikanischen Beziehungen?
Viele Interessenskonflikte zwischen Deutschland und den USA würden sich auch unter einer Regierung Biden nicht plötzlich in Luft auflösen, was beispielsweise Handelsregeln, den umstrittenen Bau der Nord-Stream-Pipeline oder den deutschen NATO-Beitrag angeht. Beim Thema Klima- und Umweltschutz kämen wir uns aber schnell näher, wenn die USA unter Biden - wie angekündigt - wieder dem Pariser Klimaabkommen beitreten. Zudem wäre vor allem der Tonfall im transatlantischen Verhältnis versöhnlicher und konstruktiver als in den vergangenen Jahren. Da die Wahrnehmung der USA stark durch deren Präsidenten geprägt wird, können wir erwarten, dass ein möglicher Präsident Biden in der deutschen Öffentlichkeit zu weniger pauschalem Anti-Amerikanismus und mehr Austausch und Dialog, auch in Form von USA-Reisen, führen würde.

Für den Fall, dass Trump die Niederlage nicht anerkennt. Wie ist Ihre Einschätzung: Wie geht es weiter?
Gut möglich, dass die verschiedenen Klagen zum Wahlablauf noch länger die US-Gerichte beschäftigen werden und teils auch der Supreme Court entscheiden muss. Dessen aktuelle Besetzung wurde ja in den letzten Jahren durch Präsident Trump maßgeblich mitbestimmt. Ich bin dennoch zuversichtlich, dass sich die amerikanische Justiz als unabhängig genug erweist, um nicht entscheidend in das Wahlergebnis einzugreifen - zumindest nicht ohne stichhaltige Belege für massive Wahlfälschung, worauf es bisher keine echten Hinweise gibt. Tatsächlich schlimm fände ich, wenn sich Trump dann über die rechtliche Auseinandersetzung hinaus weiter weigern sollte, seine Niederlage öffentlich anzuerkennen. Falls er die eigenen Anhänger noch weiter aufstachelt, könnte es in den USA schnell zu Gewalt kommen.

Unabhängig davon, wer das Rennen macht: Was sind die großen Aufgaben der kommenden Präsidentschaft?
Die größte Herausforderung sehe ich dementsprechend auch darin, der tiefen Spaltung in der amerikanischen Gesellschaft entgegenzuwirken, die sich in den vergangenen Jahren immer weiter verschärft hat: Ein großer Teil der Bevölkerung fühlt sich von den Eliten des Landes missverstanden oder abgehängt. Diesen Menschen, die für den „American Dream“ teils nur noch Zynismus übrig haben, nicht mit plumpem Populismus zu begegnen, sondern mit echten Perspektiven, halte ich für die wichtigste Aufgabe des kommenden Präsidenten. Dabei denke ich unter anderem an die Themen Krankenversicherung, Bildungschancen und Einkommensverteilung.

Welche Gruppe war ausschlaggebend für die US-Wahl?
Besonders überraschend war bisher Trumps gutes Abschneiden unter Hispanics, das ihm auch den Wahlsieg in Florida bescherte. Dabei profitierte er wohl davon, dass seine Darstellung von Biden als „Sozialist“ vor allem bei Amerikanern mit kubanischer und venezolanischer Herkunft verfing. Sollte Trump aber, wie es momentan scheint, die Wahl verlieren, wäre letztlich wohl wieder der Wahlausgang in den „Rust Belt“-Staaten verantwortlich: In Michigan, Ohio, Pennsylvania und Wisconsin, wo Trump 2016 noch überraschend deutlich gewonnen hatte, entschiedenen sich nun viele Wähler für Biden. In dieser Region leben besonders viele „Blue Collars“, also zum Beispiel Industriearbeiter-Arbeiter. Diese haben möglicherweise in den vergangenen Jahren nicht in dem Maße von Trumps Wirtschaftspolitik profitiert, wie er ihnen das 2016 versprochen hatte.

Katharina Kreß

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