IHK-Forderungen zur Kommunalwahl 2024
Unternehmerisches Engagement ist die Voraussetzung dafür, dass in den Kommunen Beschäftigung, Wertschöpfung und Steuereinnahmen entstehen. Die Belange der Unternehmen müssen deshalb auch auf der kommunalpolitischen Ebene angemessen berücksichtigt werden. Kreis-, Stadt- und Gemeinderäte sind bedeutsame Akteure bei der Gestaltung der lokalen Standortfaktoren. Die IHK Reutlingen richtet sich mit den folgenden Positionen und Forderungen an die Räte, um im partnerschaftlichen Miteinander das Wirtschaftswachstum zu befördern und den Wohlstand auf der kommunalen Ebene zu mehren.
Fachkräfte sichern
Die Unternehmen in der Region Neckar-Alb sehen gemäß IHK-Standortumfrage 2022 bei der Verfügbarkeit von beruflich qualifizierten Fachkräften einen der größten Handlungsbedarfe, um die wirtschaftliche Entwicklung ihres Betriebs aufrechtzuerhalten. Für die Deckung des Bedarfs sind vielfältige Maßnahmen erforderlich, darunter die Förderung von beruflicher Aus- und Weiterbildung sowie die gezielte Unterstützung von Frauen und Älteren. Kommunen sollten die Zusammenarbeit zwischen Bildungseinrichtungen stärken, um den Fachkräftebedarf vor Ort zu decken. Für die Integration ausländischer Fachkräfte sollten die Landkreise und Kommunen die bürokratischen Hürden deutlich abbauen, Aufenthaltsanträge für Fachkräfte mit Arbeitsvertrag beschleunigt bearbeiten, das Angebot an Sprachkursen ausbauen und eine gelebte Willkommenskultur fördern. Zur verbesserten Vereinbarkeit von Beruf und Familie müssen die kommunalen Angebote für die Kinderbetreuung ausgebaut werden. Dies umfasst ausreichend Plätze, bedarfsgerechte Öffnungszeiten sowie eine angemessene Personal- und Sachausstattung der Einrichtungen.
Genehmigungsverfahren beschleunigen
Einen weiteren großen Handlungsbedarf sehen die regionalen Betriebe im Bürokratieabbau auf Ebene der Kommunen und Landkreise. Eine bürokratiearme Verwaltung bringt Zeit- und Kostenersparnisse für beide Seiten, Unternehmen wie Verwaltung. In einer immer schnelleren und agileren Wirtschaft müssen Verwaltungs-, insbesondere Genehmigungsverfahren, vereinfacht und beschleunigt werden. Von zentraler Bedeutung für den Wirtschaftsstandort ist zudem ein systematischer und konsequenter Auf- und Ausbau digitaler Angebote für Unternehmen in der Verwaltung.
Flächen für Gewerbe und Wohnen zur Verfügung stellen
Bestandsunternehmen wie Investoren sind auf ein ausreichendes Angebot geeigneter Gewerbeflächen in der Region Neckar-Alb angewiesen. Ebenso steht das Thema bezahlbarer Wohnraum in engem Zusammenhang mit der Fachkräftesicherung. Ziel muss es daher sein, vorhandene Flächen konsequent und unter Nutzung aller rechtlichen Möglichkeiten vorzuhalten. Dazu gehört auch, brachliegende innerörtliche Areale zu aktivieren und für leerstehende Immobilien bei Bedarf eine Umnutzung zu ermöglichen sowie Chancen durch eine Nachverdichtung zu realisieren. Auch bei Kommunen mit Eigenentwicklung müssen interkommunale Lösungen prinzipiell möglich sein. Durchdachte Leitlinien und Gewerbegebietsentwicklungskonzepte, wie am Beispiel RTunlimited, dienen der zielgerichteten Weiterentwicklung und Erhaltung neuer Industrie- und Gewerbegebiete.
Mobilität gewährleisten
Die große Herausforderung der nächsten Jahre wird im Mobilitätsbereich darin bestehen, den Verkehr in Richtung emissionsfrei zu transformieren. Der Knackpunkt hierbei besteht in der Bereitstellung von Netz- und Flächenkapazität für die Lade-Infrastruktur, ganz abgesehen von der ebenso erforderlichen Flottenumstellung. Dabei muss ein reibungsloser Wirtschaftsverkehr in den Städten und Gemeinden durch moderne Infrastruktur gewährleistet sein. Die Erreichbarkeit der Zentren und Gewerbestandorte ist ein zentrales und notwendiges Anliegen der Unternehmen. Anlieferungen und Kundenzugang müssen weiterhin jederzeit möglich sein.
Für die Pendlerströme ist der Öffentliche Personennahverkehr angebotsorientiert weiterzuentwickeln und auszubauen, insbesondere hinsichtlich der bislang schlecht angebundenen Gewerbestandorte und –gebiete an den Ortsrändern sowie der Regionalstadtbahn. Die Landesregierung strebt für den ÖPNV-Ausbau („Mobilitätsgarantie“) eine Drittnutzerfinanzierung an, über welche die Kommunen freiwillig entscheiden können („Mobilitätspass“ bzw. „Nahverkehrsabgabe“, entweder per Citymaut, Kfz-, Einwohner- oder Mitarbeiterabgabe durch die Unternehmen). Letzteres lehnt die IHK entschieden ab.
Ferner sollten sich die kommunalen Vertreter bei den entsprechenden Ministerien auf Landes- und Bundesebene für eine möglichst rasche Realisierung der dringend notwendigen Straßenverkehrsprojekte in der Region einsetzen. Das sind insbesondere die B 27 (Ortsumfahrung Tübingen/Schindhaubasistunnel, Bodelshausen - Nehren, Ortsumfahrung Endingen-Erzingen), die B 464 (Ortsumfahrung Reutlingen/Dietwegtrasse), die B 312 (Verlegung bei Lichtenstein/Albaufstieg) und die B 463 (Ortsumfahrung Lautlingen).
Digitale Infrastruktur stärken
In allen IHK-Standortumfragen ist der Breitbandausbau sowie die Mobilfunknetzabdeckung ein zentrales Handlungsfeld. Eine flächendeckende und leistungsfähige IKT-Infrastruktur ist eine wichtige Voraussetzung für die digitale Zukunft der Unternehmen. Neben den Netzbetreibern, der Bundes- und Landespolitik sind hier auch die Landkreise und Kommunen gefordert. Der flächendeckende Breitbandausbau mit gigabitfähigen Technologien ist insbesondere in den Gewerbegebieten zu forcieren. Standorte für Mobilfunkinfrastruktur müssen in den Kommunen an geeigneten Standorten in enger Absprache mit den Infrastrukturbetreibern und dem Land entstehen. Die Fördermöglichkeiten des Bundes und Landes sind dafür auszuschöpfen.
Steuern und Abgaben senken
Ausgeglichene Kommunalhaushalte sind die Grundlage für handlungsfähige Verwaltungen. Kassenkredite und strukturelle Defizite gilt es daher zu vermeiden. In den für die Wirtschaft besonders wichtigen Handlungsfeldern – zum Beispiel im investiven Bereich – sind ausreichend öffentliche Haushaltsmittel einzuplanen. Die Kommunalabgaben müssen auf einem stabilen Niveau gehalten sowie einfach und transparent ausgestaltet sein. Die Hebesätze für Grund- und Gewerbesteuer haben eine große Signalwirkung für Ansiedlungen und Investitionen. Weitere Anhebungen der Hebesätze müssen nicht zuletzt aus diesem Grund unterbleiben. Wo möglich, sollten Hebesätze gesenkt werden. Bei der anstehenden Reform der Grundsteuer müssen die Kommunen durch Anpassung der Hebesätze eine echte Aufkommensneutralität sicherstellen.
Wirtschafts- und Mittelstand fördern
Laut jüngster Standortzufriedenheitsumfrage spielen neben der Bearbeitungsdauer von Verfahren insbesondere ein offenes Ohr für die Anliegen der Wirtschaft und die Erreichbarkeit der Verwaltung auf Gemeindeebene eine große Rolle. Die Gemeinderäte sind Träger von kommunaler Wirtschaftspolitik. Dieses Verständnis gilt es stärker zu vermitteln. Die Wirtschafts- und Mittelstandsorientierung der Kommunalverwaltungen ist im Hinblick auf die Erarbeitung von Satzungen, bei Serviceleistungen für Unternehmen und Antragsbearbeitungen, bei der Erteilung von Bescheiden und der fach- und ämterübergreifenden Zusammenarbeit weiter zu verbessern. Dazu bedarf es auch einer effizienten Personalausstattung in den kommunalen Verwaltungen. Im Rahmen der Digitalisierung sollte verstärkt auch E-Government zum Einsatz kommen sowie KI-Potentiale bei der Automatisierung von Verwaltungsaufgaben geprüft und genutzt werden. Die Wirtschaftsförderung zur Erhaltung und Weiterentwicklung der Wirtschaftsstandorte sollte weiterhin aktiviert werden. Zur Förderung der Wirtschaftsorientierung der Kommunen sollten die Kontakte zwischen Städten, Gemeinden und Unternehmen intensiviert werden.
Innenstädte attraktiv gestalten
Die Anforderungen an Innenstädte haben sich grundlegend gewandelt. Eine alleinige Fokussierung auf Einkaufsmöglichkeiten genügt nicht mehr, um Kundinnen und Kunden anzuziehen. Vielmehr müssen stationäre und digitale Angebote der Innenstadt-Akteure verbessert und mit passenden Kundenbindungsinstrumenten verzahnt werden.
Innenstädte müssen sich zu vielfältigen, multifunktionalen Treffpunkten entwickeln, die für alle Generationen attraktiv sind. Dies erfordert verstärkte Unterstützung, da das Innenstadtmanagement vor erheblichen Herausforderungen steht. Stadtverwaltungen müssen erkennen, dass dies mehr Investitionen erfordert als je zuvor. Die Professionalisierung des Innenstadtmarketings und -managements wird von zentraler Bedeutung sein. Gleichzeitig müssen Innenstädte sich an den Klimawandel anpassen, was Investitionen in blaue und grüne Infrastruktur erfordert. Der IHK-Kaufkraftatlas zeigt, dass der Einzelhandel vor Ort stark von verschiedenen Standortfaktoren abhängt. Attraktive Rahmenbedingungen wie gute Erreichbarkeit und eine förderliche Kommunalpolitik sind entscheidend für den stationären Einzelhandel. Die Vernetzung der örtlichen Akteure und eine unterstützende Politik sollten oberste Priorität haben, um die Innenstädte als soziale Mittelpunkte zu stärken.
Nachhaltiges Wirtschaften fördern
Nachhaltigkeit ist zu einem wichtigen Leitprinzip für Unternehmen und zur Voraussetzung für wirtschaftliches Handeln geworden. Dies betrifft soziale, ökologische und ökonomische Aspekte. Nachhaltiges Handeln ist dabei nicht nur für Unternehmen relevant, sondern eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Der sozial-ökologische Wandel hin zu einer treibhausgasneutralen Wirtschaft muss gelingen. Deshalb sollte eine aktive kommunale Wirtschafts- und Strukturpolitik den Wirtschaftsstandort im Sinne der Nachhaltigkeit weiterentwickeln und damit die Arbeitsplätze der Zukunft sichern. Projekte, wie die Förderung als „Modellregion Grüner Wasserstoff“ sollen im Landkreis Reutlingen weiterhin vorangetrieben und ausgeschöpft werden.
Zugleich muss die internationale Wettbewerbsfähigkeit gefördert und wirtschaftliches Wachstum vorangetrieben werden. Projekte, welche zur Nachhaltigkeit, infrastrukturellen Leistungsfähigkeit und Vorbildfunktion der Region beitragen, wie ein möglicher emissionsfreier Güterumschlagsbahnhof (Zero Emission Logistics Terminal) sollen geprüft werden.
Die Förderung und Unterstützung der örtlichen Wirtschaftsstruktur und der lokalen Betriebe ist eine zentrale Aufgabe von Landkreisen, Städten und Gemeinden. Kommunen sollten Unternehmen in ihren Bestrebungen des nachhaltigen Wirtschaftens fördern. Ökologische Kriterien sollten in diesem Sinne in der kommunalen Wirtschaftsförderung verankert werden. Zudem sollten die Kommunen Transformationsstrategien gemeinsam mit den lokalen Wirtschaftspartnern, Betrieben und Beschäftigten erarbeiten und umsetzen.
Europa und Kommune zusammen denken
Die Europäische Union spielt in den Kommunen eine zunehmend große Rolle. Sie nimmt direkt oder indirekt Einfluss auf die kommunale Selbstverwaltung und verändert durch ihre Reglements, Rechtsvorschriften und Initiativen kommunalpolitisches Handeln. Auch die Unternehmen sind zunehmend von EU-Gesetzen betroffen. Darum benötigen die Unternehmen starke kommunale Partner zur Umsetzung der EU-Gesetze vor Ort. Dadurch fallen die Transaktionskosten für Unternehmen weg, was wiederum die Standortattraktivität steigert.
EU-Förderprojekte in den Regionen kommen auch der regionalen Wirtschaft zugute. Durch die zunehmenden Auswirkungen europäischer Gesetze sollten die Kommunen ihre Aktivitäten in Europathemen intensivieren und mit Europabeauftragen relevante Informationen sammeln, auswerten und innerhalb der Verwaltung weiterleiten sowie EU-Förderanträge koordinieren. Die Kommunen sollten sich aktiv in den Europäischen Ausschuss der Regionen und dem Europabüro der baden-württembergischen Kommunen einbringen bzw. die Kontakte in diese Gremien pflegen, um informiert zu sein und schnell agieren zu können. Städtepartnerschaften sollten weiter intensiviert werden und für eine effiziente wirtschaftliche Zusammenarbeit genutzt werden.