Stadtentwicklung

Noch ist alles drin

Innenstädte und Einzelhandel hatten es schon vor Corona nicht leicht. Die Pandemie hat den Prozess der Verödung nun weiter beschleunigt. Höchste Zeit, um gegenzusteuern – etwa mit dem Landesförderprogramm „Innenstadtberater“. Ein Blick nach Burladingen und Mössingen.

Marktplatz von BurladingenStadtverwaltung und Bürger von Burladingen sind sich einig: Die Stadt muss ihren Marktplatz häufiger auch für Events nutzen. Foto: PR

Normales Einkaufen ist längst wieder möglich, doch der erhoffte Aufschwung ist ausgeblieben. Laut dem Handelsverband Baden-Württemberg ist die Verbraucherstimmung im Keller. Im Einzelhandel liegt der Umsatz derzeit zwölf Prozent unter dem Niveau von 2019. Die beiden Pandemie-Jahre stecken den Betrieben in den Knochen und aktuell drückt die Inflation spürbar auf die Kauflaune.

Und dann wären da noch alte Probleme: die Online-Konkurrenz, Nachwuchsprobleme und Leerstand, die Verkehrsanbindung, das veränderte Kauf- und Freizeitverhalten, ausbleibende Laufkundschaft. Das Land hat deshalb verschiedene Hilfsprogramme auf den Weg gebracht, darunter regionale Innenstadtberater.

Das Förderprogramm stellt Städten, die ihre Situation in der Innenstadt verbessern möchten, einen Berater zur Seite, der gemeinsam mit Akteuren vor Ort ungenutzte Potenziale ermitteln und Lösungen erarbeiten soll. Die Kosten trägt das Wirtschaftsministerium, die Organisation läuft über die IHK. Die Dauer ist zunächst auf ein Jahr angesetzt.

In der Region sind sechs Kommunen dabei: Ammerbuch, Münsingen, Pfullingen, Hechingen, Mössingen und Burladingen. Letztere ist hinlänglich bekannt wegen Textilproduzent Trigema und seinem Outlet sowie der B 32, die den Ortskern durchquert. Weniger wegen des fünftgrößten Waldvorkommens im Ländle und noch weniger wegen seines Stadtkerns.

Bruno SeemannFoto: PR

„Die noch vorhandenen Läden sterben langsam aus, zu wenige neue rücken nach.“

Bruno Seemann, Inhaber Elektro Seemann e. K., Burladingen

Aufbruchstimmung nutzen
IHK-Innenstadtberaterin Madeleine Arnold und Vincent Schoch, Leiter Handel und Einpersonen- und Kleinunternehmen bei der IHK, sowie den – analog wie digital – befragten Bürgerinnen und Bürgern zufolge könnte die Stadt mehr mit ihrem schönen Marktplatz punkten, sprich, man wünscht sich mehr Veranstaltungen und Gastronomie. Zwar böten die Läden im Stadtkern kompetenten Service und lebten von treuen Stammkunden, müssten aber mehr für Barrierefreiheit und ihre Außendarstellung tun. Hilfreich wäre auch, den inaktiven Handels- und Gewerbeverein wieder zu beleben und das touristische Angebot auszubauen. 

Ob das den relativ hohen Leerstand wettmacht? Bruno Seemann, Elektrofachhändler vor Ort, sieht die bisherige Lage von Innenstadt und Handel jedenfalls kritisch: „Die noch vorhandenen Läden sterben langsam aus, zu wenige neue rücken nach.“ Gründe seien nicht hohe Mieten – die meisten Immobilien gehören den Ladeninhabern –, sondern Nachfolgeprobleme. Außerdem plage der Preiskampf mit Discountern und Onlinehändlern, die mit ihren Angeboten oft unter dem lägen, was er im Einkauf bezahle. „Das ist oft ein Kampf gegen Windmühlen.“

Davide LichtFoto: PR

„Wir spüren Aufbruchstimmung und einen guten Zusammenhalt aller Akteure.“

Davide Licht, Bürgermeister der Stadt Burladingen

Was die Stadt betrifft, habe diese durchaus Tiefe, der Marktplatz und vor allem der Wald böten viel Aufenthaltsqualität. „Man muss eben mehr daraus machen, sonst bleibt nur der Eindruck einer Durchgangsstraße“, meint Seemann. Zudem bräuchte der Standort mehr Arbeitsplätze, um Pendler zu binden und eine bessere Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr.

Bürgermeister Davide Licht, seit knapp zwei Jahren im Amt, verspricht sich viel vom Förderprogramm und will jede Anregung in den Stadtentwicklungsprozess mit aufnehmen. „Wir spüren Aufbruchstimmung und einen guten Zusammenhalt aller Akteure.“ Man wolle eine nachhaltige Optimierung erreichen. Dazu sollen auch alte Industriebrachen und -flächen neu definiert und genutzt werden. Wofür genau, wird sich noch zeigen.

Innenstadt von MössingenGrüne Inseln und Plätze zum Verweilen: die Stadtmitte von Mössingen. Foto: PR

Gute Voraussetzungen
Für Mössingen soll das Förderprogramm ein Booster sein. Rund ein Jahrzehnt lang wurde die Stadtmitte runderneuert und ein Gesundheitszentrum gebaut. Jetzt geht es darum, diese mühselig erarbeiteten Vorteile zu vermarkten.

Mössingen habe gute Voraussetzungen, so Wirtschaftsförderer Claudius Mähler: das relativ große Einzugsgebiet vom Steinlachtal bis auf die Alb, einen nagelneuen Stadtkern und kostenloses Parken. „Wie man aus diesen Stärken einen Nutzen für die Innenstadt und den Einzelhandel ableiten kann, ist Kernthema des Förderprogramms.“

Vieles laufe schon gut, bestätigt auch das Beraterteam. Im Verhältnis zu anderen Gemeinden, so ergibt die Standortanalyse, gibt es kaum Leerstand. Das war nicht immer so. Doch seit der Fertigstellung des Gesundheitszentrums 2016 hat sich das Blatt langsam gewendet. Das Ärztehaus mit Handel und Dienstleistung zieht bislang nicht nur Patienten an, auch neue Geschäfte haben sich seither vereinzelt hier angesiedelt.

Barbara MuschlerFoto: PR

„Erst Corona, jetzt Inflation und Energiekrise.“

Barbara Muschler, Geschäftsführerin von Muschler Mode & More und Vorsitzende des Handels- und Gewerbevereins Mössingen

Große Durststrecke
Selbiges gilt auch für den Marktplatz der neuen Stadtmitte, auf den die Stadtverantwortlichen besonders stolz sind. Hier soll es große Veranstaltungen und Märkte geben, darunter den Weihnachtsmarkt. Unter anderem deshalb hat man hier auf eine stärkere Begrünung verzichtet, was in der Bürgerbefragung allerdings stark moniert wurde. Als verbesserungsfähig empfanden die Bürgerinnen und Bürger zudem das Angebot von Veranstaltungen, Gastronomie und Spielplätzen.

„Momentan ist es so, wie wenn man ein Haus neu bezieht. Es fällt einem Tag um Tag auf, was gut läuft und was man noch umgestalten kann“, sagt Barbara Muschler, Vorsitzende des örtlichen Handels- und Gewerbevereins und zugleich Geschäftsführerin des Modegeschäfts Muschler Mode & More. Der Einzelhandel habe eine große Durststrecke hinter sich. „Erst Corona, jetzt Inflation und Energiekrise, dann noch acht Jahre Großbaustelle. Wir sind froh, dass wenigstens die Baustellensituation erledigt ist. Damit sind wir ein Riesenschritt vorwärts gekommen.“

Der Onlinehandel habe den Betrieben in der Pandemie viel Wasser abgegraben. Einige würden inzwischen ihre Web-Shops wieder aufgeben und mehr in faire und gute Beratung investieren, also auch in Personal. „Letztlich geht es darum, nicht um offline oder online“, meint Muschler. Fehlt nur noch eine gute Kundenfrequenz. Die soll die neue Stadtmitte und die Innenstadtberatung nun ermöglichen.

Claudius MählerFoto: PR

„Die Koordinationsaufgabe besteht darin, die Innenstadt mit anderen wichtigen Orten intelligent zu verknüpfen.“

Claudius Mähler, Wirtschaftsförderer der Stadt Mössingen

Intelligentes Netz
Am Beispiel anderer Städte sieht man: Passables Geschäft gibt es dort, wo es genug Freizeit- und Kulturangebote gibt, wo man gerne hingeht, um sich mit anderen zu treffen. Für Claudius Mähler könnten ebenso die Streuobstwiesen, die Rad- und Wanderwege sowie etablierte Events wie der Rosenmarkt, das U&D-Festival und Theater auf dem Pausa-Gelände ein Schlüssel für eine höhere Besucherfrequenz sein. „Die Koordinationsaufgabe der Stadt besteht auch darin, die Innenstadt mit anderen wichtigen Orten in der Nähe intelligent zu verknüpfen.“

Dazu gehöre das Pausa-Gelände, der Bahnhof mit dem zukünftigen Anschluss an die Regionalstadtbahn oder das Hoeckle-Areal. Auf dem ehemaligen Firmenareal soll ein modernes Wohngebiet entstehen, in Laufnähe zum Marktplatz. Es wäre daher ideal, so Mähler, wenn das Programm „Innenstadtberater“ auch über das Jahr 2022 bestehen bliebe. „Ich bin mir sicher, dass wir am Ende des Programms ein gutes Ergebnis bekommen werden.“ /

(Dieser Artikel erschien in der WNA-Ausgabe 10+11/2022.)