Regionalstadtbahn: Wer soll das bezahlen?

IHK Reutlingen, Tübingen und ZollernalbFoto: Marem - Fotolia.com

Die Regionalstadtbahn könnte einmal von Albstadt bis ins Ermstal reichen. Könnte – denn das Projekt wird teuer und selbst Bauabschnitt eins ist längst nicht in trockenen Tüchern. Der Report der WNA-Redaktion zeigt ein Projekt zwischen großen Zahlen und großer Verunsicherung.

Ein Verkehrsprojekt, wie es die Region Neckar-Alb noch nie gesehen hat, inspiriert die kommunale Politik in den Landkreisen Reutlingen, Tübingen und Zollernalb. Eine Regionalstadtbahn soll die Innenstädte des Oberzentrums Tübingen und Reutlingen verbinden, Albstadt und den Talgang erschließen, und bis ins Neckartal, Ammertal und Ermstal reichen. Das Schienennetz, 190 Kilometer lang, spannt sich zwischen den Endstationen Bad Urach, Kleinengstingen, Herrenberg, Horb, Onstmettingen und Waldhäuser-Ost in Tübingen. Das ist die Vision, ein Großprojekt, für das noch 44 Kilometer Schiene gebaut und 166 Kilometer elektrifiziert werden müssen.

Förderfähigkeit ist belegt

Entsprechend riesig ist die Summe, für die das alles zu haben ist. 575 Millionen Euro veranschlagt die standardisierte Bewertung der Gutachter, einen Betrag also, der weder von den Landkreisen noch von den an der Strecke gelegenen Städten und Gemeinden jemals alleine finanziert werden kann. Ohne Hilfe des Landes und Bundes ist so ein Projekt ohnehin nicht zu stemmen, für wie sinnvoll sich seine Realisierung auch darstellen lässt. Zweifellos ist es das. Tatsächlich übersteigt der volkswirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Nutzen der Regionalstadtbahn den Aufwand, der dafür betrieben werden muss. Daran lassen die gutachterlichen Expertisen keinen Zweifel. Die für ihre Förderfähigkeit vorausgesetzte Kosten-Nutzen-Relation von mehr als 1,0 ist mit einem Index von 1,37 eindrücklich belegt.

Na denn los, möchte man sagen. Aber so einfach ist es nicht, was man an Reaktionen auf der kommunalen Ebene ablesen kann. Dabei ist man dort noch weit davon entfernt, die Umsetzung des Gesamtprojekts zu diskutieren. Denn selbst wenn sich der Bund wie in der Vergangenheit mit 60 Prozent und das Land mit 20 Prozent an den Kosten beteiligen sollten, blieben ein Fünftel an den drei Landkreisen und den an der Strecke gelegenen Gemeinden und Städten hängen. Und das wären mindestens 115 Millionen Euro und damit eine Summe, die nur über einen sehr langen Zeitraum zu finanzieren wäre.

Ohne Bundesförderung stirbt das Projekt

Was die kommunale Ebene, Landkreise, Städte und Gemeinden, zum Jahresende 2014 aufs Gleis gesetzt haben, ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Entwurfs- und Genehmigungsplanung für das Modul eins. Und auch das ist schon ein Wagnis. Denn die erprobte und erfolgreiche Finanzierungspartnerschaft hat Risse bekommen. Zum einen sind die kommunalen Entscheidungsträger verunsichert darüber, dass der Bund neuerdings nur noch von einer Förderung in Höhe von „bis zu 60 Prozent“ spricht und damit den Planern eine unsichere Kalkulation aufzwingt. Mit wie viel Bundeszuschuss darf man denn nun rechnen? Gravierender aber ist der Umstand, dass das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) im Jahr 2019 ausläuft, aber eine Nachfolgeregelung nicht in Sicht ist. Was also ist, wenn das Modul eins bis dahin nicht abgerechnet werden kann? Das faszinierende Projekt steht also unter einem Vorbehalt, bevor die finanziellen Möglichkeiten der Region überhaupt erst gefragt sind. Bleibt die Bundesförderung aus, ist das Projekt gestorben.

Das gilt auch für die Realisierung des 105 Millionen Euro teuren ersten Teilmoduls. Zwar steht das Land zu seinem Anteil in Höhe von 20 Prozent und sichert darüber hinaus das Risiko geringerer Bundeszuschüsse für den Anteil an der DB-Strecke Tübingen-Metzingen ab. Doch ist nicht klar, wie sich der Bund insgesamt verhält. Auch deshalb kann über die Verteilung der reinen Investitionskosten für das Modul eins in Höhe von rund 89 Millionen Euro frühestens entschieden werden, wenn das Planfeststellungsverfahren im Jahr 2016 abgeschlossen ist und die Realisierungsplanung ansteht.

Von insgesamt 16,3 Millionen Euro Planungskosten (Genehmigungsplanung und Realisierungsplanung), für die es wie für weitere 4,4 Millionen Euro ohnehin keine Zuschüsse gibt, müssten 5,5 Millionen vom Landkreis Reutlingen und 10,9 Millionen vom Kreis Tübingen aufgebracht werden. Bezieht man die Investitionskosten ein, beläuft sich der kommunale Anteil im Kreis Reutlingen auf 12,4 Millionen Euro, im Kreis Tübingen auf 24,5 Millionen Euro. Kein Pappenstiel also.

Vorerst mussten allerdings nur die Kosten für die Entwurfs- und Genehmigungsplanung (noch nicht für die Realisierungsplanung) des Moduls eins gesichert werden. Das sind 2,15 Millionen Euro auf Reutlinger und 4,2 Millionen Euro auf Tübinger Seite. Der Prozess, der zum Jahresende weitgehend abgeschlossen war, machte eines deutlich: In der Kommunalpolitik mischt sich Faszination mit äußerster Vorsicht. Einstimmig wurde der Beschluss im Tübinger Kreistag gefasst und mit überwältigender Mehrheit in Reutlingen. Einmütig bekannten sich die Anliegergemeinden zu ihren Finanzierungsanteilen: Dettingen (13 Prozent) steuert 310.000 bei, Bad Urach (13 Prozent) 310.000 Euro, Metzingen (19 Prozent) 410.000 Euro. Die Entscheidung des Reutlinger Gemeinderats, 11 Prozent zu übernehmen, lag bei Redaktionsschluss der WNA noch nicht vor, gilt aber als sicher. 920.000 Euro (43 Prozent) bleiben am Landkreis Reutlingen hängen. Im Kreis Tübingen beteiligen sich Ammerbuch und Tübingen mit jeweils 50.000 Euro, Rottenburg mit 70.000 Euro und der Zweckverband Ammertalbahn mit 400.000 Euro.

Doch die breite Zustimmung spiegelt keineswegs die Befindlichkeiten der Akteure wider. Wie es darum bestellt ist, kann man ganz gut an drei Beispielen aufzeigen. Der Dettinger Bürgermeister Michael Hillert (FWV) machte mit dem Kunststück von sich reden, im Reutlinger Kreistag gegen die Entwurfs- und Genehmigungsplanung zu stimmen, seinen Gemeinderat aber auf Linie zu bringen. Der Landkreis, so lautet sei Credo, sei nicht in der Lage, das Projekt zu finanzieren, die Gemeinde Dettingen ihren Anteil aber sehr wohl. „Der am zweithöchsten verschuldete Landkreis in Baden-Württemberg ist schlicht überfordert.“

"Die Luft ist eng"

Ganz anders hört sich das bei Mike Münzing an. Doch leugnet auch der Münsinger Bürgermeister und Vorsitzende der SPD-Kreistagsfraktion keinesfalls die schwierige finanzielle Lage, was sich aktuell an der Erhöhung der Kreisumlage von 32,75 auf 34,25 Prozent ablesen lässt, die den Gemeinden und Städten fünf Millionen Euro mehr abverlangt. Die sind auch nötig, denn der Kreis trägt schwer am Defizit der Kliniken, das es aufzufangen gilt, um Schlimmeres zu verhindern. 6,5 Millionen Euro müssen 2015 zugeschossen werden. Weitere Tranchen jedes Jahr bis 2018. Rund 3,5 Millionen Euro kostet die Betreuung von Asylbewerbern und dann sind da noch die dringend benötigten Investitionen von 4,8 Millionen Euro in die Theodor-Heuss-Schule abzusichern. Alles zusammen ein zweistelliger Millionenbetrag. „Die Luft ist eng“, weiß auch Münzing. „Da muss uns etwas einfallen.“

Doch trotz aller Bedenken outet er sich als „absoluter Befürworter der Stadtbahn“, obwohl die Stadt Münsingen von ihr gar nicht unmittelbar profitieren wird. Doch entlang ihrer Strecken werde die Bahn „ökonomische und soziale Prosperität“ entfalten, die Region zusammenführen und dem Einzelhandel in Reutlingen und Tübingen zu einem Durchbruch verhelfen.

"Es lohnt sich, am Ball zu bleiben"

Eine dritte Argumentationslinie vertritt Florian Weller, der CDU-Fraktionsvorsitzende im Reutlinger Kreistag: Zwar könne es durchaus sein, dass man jetzt vergeblich plane, räumt er ein, doch ohne einen Planfeststellungsbeschluss laufe am Ende gar nichts. Mit ihm aber sei man auf die Dauer von 15 Jahren gewappnet. „Denn nach allem, was man weiß, wird es nach 2019 ein GVFG-Nachfolgeprojekt geben“, glaubt Weller und hofft, dass auch künftig „Großprojekte in irgendeiner Form vom Bund gefördert werden.“ Es gebe immer wieder Veränderungen in der großen Politik, bei denen sich Finanzierungsmöglichkeiten auftun. „Es lohnt sich, am Ball zu bleiben.“

Der Planfeststellungsbeschluss gilt als Baurecht, argumentiert die Reutlinger Kreisverwaltung. Und man wäre in den Startlöchern. So liest man es denn auch in der Beschlussvorlage des Landratsamtes: „Wenn wir (. . .) den Planungsprozess aussetzen, müssen wir – wenn Klarheit besteht hinsichtlich der künftigen Fördermöglichkeiten auf Bundes- oder Landesebene – zunächst einmal die Entwurfs- und Genehmigungsplanung und daran anschließend das Planfeststellungsverfahren durchführen.“ Das wäre ein zeitlicher Verzug von mindestens zwei Jahren mit der Folge, dass man sich in der Schlange der Antragsteller wieder ganz hinten anstellen müsste. So ist denn auch die Hoffnung ein Ratgeber für dieses Projekt, von der gesagt wird, dass sie zuletzt sterbe.