Geschichte der IHK Reutlingen

IHK Reutlingen, Tübingen und ZollernalbIHK-Geschichte: So war es 1855

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die wirtschaftliche Struktur Württembergs durch die Landwirtschaft und das Handwerk geprägt. Erst ab Mitte des Jahrhunderts - mit der Fertigstellung der "Schwäbischen Eisenbahn" von Stuttgart über Ulm nach Friedrichshafen und vor allem mit der Einführung der Gewerbefreiheit - setzte die Industrialisierung im Land ein.

Im ganzen Land bildeten sich nun Gewerbevereine. Allerdings erkannten die Kaufleute und Fabrikanten sehr bald, dass sie gegenüber der Regierung eine selbständige und unabhängige Vertretung benötigten. Dies führte 1843 - in dem Jahr, als der Landtag den ersten Eisenbahnbau beschloss - zur Gründung des Württembergischen Handelsvereins.1848 wurde auf Initiative der Gewerbevereine die "Königliche Zentralstelle für Gewerbe und Handel" gegründet, die sich um die Förderung des Gewerbes in Württemberg große Verdienste erwarb, der jedoch die Verbindung zu den Unternehmen vor Ort fehlte.

Unternehmer treten erstmals zusammen

Am 19. September 1854 verordnete König Wilhelm I. die Errichtung von Handels- und Gewerbekammern in Württemberg "in der Absicht, dem Gewerbestande bei Beratung der auf die Gewerbe sich beziehenden Angelegenheiten eine größere Mitwirkung einzuräumen". Da dem Innenministerium vier Kammern im Lande "für jetzt genug" erschienen, wurden diese in Heilbronn, Reutlingen, Stuttgart und Ulm errichtet.

Am 22. Oktober 1855 traten die ersten Mitglieder der Reutlinger Kammer zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Ihre Namen wurden zuvor im Gewerbeblatt aus Württemberg vom 26. September 1855 in folgender Form veröffentlicht:

Kaufleute:

  • Carl Finckh in Reutlingen
  • Fr. Deusch in Reutlingen 
  • Louis Baur in Tübingen 
  • Moriz Lang in Reutlingen

Fabrikanten:

  • Eberhard Finckh in Reutlingen 
  • Michael Raifstänger in Metzingen 
  • Karl Fierz in Unterhausen 
  • Karl Schickhardt in Betzingen

Vertreter der kleineren Gewerbe: 

  • Georg Benz, Rotgerbermeister in Reutlingen 
  • Conrad Gminder, Färbermeister in Reutlingen 
  • Adam Kurtz, Flaschnermeister in Reutlingen 
  • Eduard Geßler, Schönfärber in Metzingen

Idee der Selbstverwaltung setzt sich durch

Nach der Gründung der Kammer war ihre Funktion zunächst noch auf die Beratung des Staates beschränkt. Anliegen der Wirtschaft konnten in Stellungnahmen und Vorschlägen vorgebracht werden. Mit den Kammergesetzen von 1874 und 1899 wurde dann aber aus dem Hilfsorgan der staatlichen Gewerbeförderung eine echte Selbstverwaltungseinrichtung, die von nun an als vom Staat unabhängige öffentlich-rechtliche Körperschaft die Gesamtinteressen der regionalen Wirtschaft wahrnehmen konnte. Die Kammer wurde damit auch finanziell vom Staat unabhängig, indem sie nun Beiträge erheben durfte, über deren Höhe die gewählten Vertreter der Gewerbetreibenden seitdem selbst entscheiden.

Interessenvertretung braucht engagierte Persönlichkeiten

Die Industrie- und Handelskammer lebt vom ehrenamtlichen Engagement ihrer Mitglieder. In und mit ihrer IHK vertreten die Gewerbetreibenden der Region ihre Anliegen gegenüber Staat und Gesellschaft. Präsidenten, Vizepräsidenten, Beiräte, die Mitglieder der Vollversammlung, der Ausschüsse und der Gremien in den Landkreisen prägten in den vergangenen 150 Jahren maßgeblich die Arbeit der IHK - manche Unternehmen brachten und bringen sich noch über Jahrzehnte über Jahrzehnte und Generationen hinweg ein. Als Beispiele für das enorme Engagement vieler Firmen seien nur die Namen Benz, Erbe, Daniel, Gminder, Groz und Osiander genannt. Hinzu kommen tausende von ehrenamtlichen Prüfern in der Berufsausbildung und der Weiterbildung. 1893 erhielt die Handels- und Gewerbekammer Reutlingen einen hauptamtlichen Geschäftsführer. 150 Jahre nach Gründung der IHK steht dem Ehrenamt ein Stab von rund 80 Mitarbeitern zur Seite.

Wirtschaftsregion Neckar-Alb nimmt Gestalt an

Nach dem königlichen Dekret vom 19. September 1854 sollten die Gewerbekammern "in den gewerbereichen Städten des Landes, welche die diesfälligen Vorbedingungen zu erfüllen im Stande sind", errichtet werden. Zu diesen gehörten zunächst - neben Reutlingen - Balingen, Ebingen, Freudenstadt, Metzingen, Nürtingen, Rottweil, Schramberg, Tübingen, Tuttlingen und Urach, die einen gemeinsamen Bezirk bildeten. Ab 1866 wurden dessen Grenzen auf die Oberämter Reutlingen, Balingen, Göppingen, Horb, Kirchheim, Nürtingen, Rottenburg, Tübingen und Urach festgelegt.

1936 wurde die IHK Reutlingen mit in die Wirtschaftskammer für Württemberg und den Regierungsbezirk Sigmaringen eingefasst. Sechs Jahre später lösten die Nationalsozialisten die Industrie- und Handelskammern auf und überführten sie in so genannte "Gauwirtschaftskammern". Reutlingen wurde eine Zweigstelle der Gauwirtschaftskammer Württemberg-Hohenzollern. Die Wiederherstellung eines funktionsfähigen IHK-Bezirks Reutlingen nach 1945 gestaltete sich schwierig: Wegen der zwischen Amerikanern und Franzosen gezogenen Zonengrenzen verlor der IHK-Bezirk Reutlingen den Kreis Nürtingen, erhielt jedoch die Kreise Münsingen und Ehingen dazu. Aufgrund einer Vereinbarung unter den IHKs kam der Kreis Horb zum Bezirk Rottweil. Ihre endgültige Form nahm die Region Neckar-Alb, deren Gebiet die IHK Reutlingen abdeckt, 1973 an. Seit der Gebietsreform ist die IHK Reutlingen für die Landkreise Reutlingen und Tübingen sowie für den Zollernalbkreis zuständig.

Dr. Wolfgang Epp

Dr. Wolfgang Epp

Hauptgeschäftsführung,
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