Verkehrswende

Hohe Erwartungen

Die Richtung ist klar: Von der Straße auf die Schiene soll es gehen. Das künftige Deutschlandticket soll dazu beitragen – ebenso wie ein regionales Langzeitprojekt. Doch die derzeitige Lage bei den Verkehrsbetrieben ist angespannt.

Bahn-IdylleSieht idyllisch aus, doch damit mehr Menschen vom Auto auf Bahn und Bus umsteigen, muss auch in der Region noch einiges getan werden. Foto: Jaroslav Machacek/shutterstock.com

Im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung sind einige Klimaziele festgeschrieben. Eines davon ist, die Passagierzahlen im öffentlichen Personennahverkehr bis 2030 zu verdoppeln. Als erste Hebel in diese Richtung gelten das 9-Euro-Ticket sowie das künftige 49-Euro-Ticket, kurz Deutschlandticket. „Das sind tolle Angebote für die Bevölkerung, aber ich werde schon nachdenklich, wie man das alles umsetzen will“, sagt Christoph Heneka, Geschäftsführer des Naldo, des Verkehrsverbunds Neckar-Alb-Donau. „Bei den Verkehrsbetrieben geht es gerade schlichtweg um die Liquidität.“

Die vergangenen drei Jahre haben auch beim Naldo Spuren hinterlassen. Die Zahl der Fahrgäste ist insgesamt um ein Viertel geschrumpft. Hinzu kommen Kostensteigerungen, etwa für Personal und Energie. Allein im vergangenen Jahr sind die Energiekosten für Bus und Bahn um 100 Prozent gestiegen. Man sei aber stolz, so Heneka, dass man auch in der Pandemie immer einen Fahrservice anbieten konnte. Bund, Land und Landkreise gleichen die Finanzlöcher aus und halten den Standard aufrecht. Christoph Heneka schätzt diese Kosten auf rund eine Milliarde Euro.

Ländlicher Raum ausgeklammert
Mit dem 9-Euro-Ticket kam der Verkehrsbetrieb im Bahnsektor im zurückliegenden Sommer kurzzeitig wieder auf eine hundertprozentige Auslastung. „Da konnte man sehen, wo die Kapazitätsgrenzen liegen und was noch möglich ist“, meint Heneka. Eigentlich müsste das Fahrangebot ausgeweitet werden, doch dafür wären sowohl mehr Fahrzeuge als auch Lokführer nötig. Für das große Klimaziel sowieso.

Christoph HenekaFoto: PR

„Bei den Verkehrsbetrieben geht es gerade schlichtweg um die Liquidität.“

Christoph Heneka, Geschäftsführer der Verkehrsverbund Neckar-Alb-Donau GmbH (Naldo), Hechingen

Grundsätzlich bilanziert Heneka das 9-Euro-Ticket für den Naldo positiv. Besonders Pendler in Richtung Stuttgart hätten davon profitiert, hier gehörten die Züge zu den vollsten. In den Städten wurde das Angebot mehrheitlich an Wochenenden genutzt. Den Verlagerungseffekt, von der Straße auf die Schiene, sieht er aber nicht umfänglich bestätigt. Denn die begleitende Studie des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) habe den ländlichen Raum komplett ausgeklammert. „Dabei dominiert hier der Pendlerverkehr mit Auto, der ÖPNV ist nur zu Stoßzeiten bedeutend.“ Ob das 49-Euro-Ticket daran etwas ändern werde, sei fraglich.

Langer Atem nötig
Die Erwartungshaltung in der Bevölkerung nach einem schnellen und günstigen ÖPNV sei mit dem 9-Euro-Ticket deutlich gestiegen und werde mit dem Deutschlandticket noch weiter steigen, meint Heneka. „Aber Anspruch und Realität passen aus unserer Sicht noch nicht zusammen. Wir brauchen einen fairen Ausgleich für unsere Leistungen.“ Nicht von ungefähr trat Verkehrsminister Winfried Hermann beim Beschluss für das Deutschlandticket kürzlich auf die Euphoriebremse. Zwar wurden dabei, wie von den Ländern gefordert, die Regionalisierungsmittel um jährlich 3 Prozent erhöht, doch für einen in der Fläche gut ausgebauten ÖPNV sei das zu wenig.

Ebenfalls bis 2030 soll auch die Regional-Stadtbahn Neckar-Alb in Betrieb gehen. Der sogenannten standardisierten Bewertung zufolge sollen dann 20.000 Autofahrten täglich entfallen, weil Autofahrer auf die Bahn umsteigen. Ob es so kommt, wird sich zeigen. Ende 2021, nachdem die Tübinger Bürgerschaft gegen eine Innenstadtstrecke votierte, musste der Kosten-Nutzen-Faktor, der die Grundlage für die Förderung durch Bund und Land ist, neu berechnet werden. Das Ergebnis: Der Nutzen überwiegt die Kosten – zur Not auch ohne Tübinger Innenstadtstrecke. „Aber mit ihr wäre es natürlich besser“, sagt Tobias Bernecker vom Zweckverband Regional-Stadtbahn.

Wollen und Können
Bis die Regional-Stadtbahn an den Start geht, müssen insgesamt 137 Kilometer Schienen elektrifiziert sowie 38 Kilometer Strecke und über 50 Haltepunkte sukzessive neu gebaut werden. Die Stadtbahn funktioniert nach dem Zweisystem-Modell, das Straßen- und Eisenbahn kombiniert. „Das ist eine einmalige Chance, den ländlichen Raum besser und enger mit den Zentren zu verknüpfen“, sagt Bernecker.

Tobias BerneckerFoto: PR

„Die Regional-Stadtbahn ist eine einmalige Chance, den ländlichen Raum besser mit den Zentren zu verknüpfen.“

Tobias Bernecker, Geschäftsführer des Zweckverbands Regional-Stadtbahn Neckar-Alb, Mössingen

Im Modul 1 stehen die Elektrifizierung der Ammertal- und Ermstalbahn kurz vor ihrer Fertigstellung. Bald sollen hier die Dieselloks den Elektrozügen weichen. Ein weiterer Meilenstein in diesem Jahr war der Beschluss des Albstädter Gemeinderats für die Wiederinbetriebnahme der Talgangbahn zwischen Ebingen und Onstmettingen. Wenn die Strecke später an die Zollernalbbahn Richtung Tübingen angebunden ist, sollen hier täglich rund 3.000 Passagiere unterwegs sein.

Überdies hat man in diesem Jahr die Vorplanung für die Elektrifizierung und Modernisierung der Oberen Neckarbahn zwischen Tübingen und Horb und der Zollernalbbahn vorgelegt. Mit Bürgerbeteiligung und Gutachtern sei man in Reutlingen, Betzingen und Pfullingen große Schritte vorwärtsgekommen. „Der Dialog ist sehr konstruktiv und zeigt, dass die Regional-Stadtbahn viele Befürworter hat.“

Die kommunalen Finanzierungsanteile am Großprojekt, gibt Bernecker allerdings zu, sind und bleiben eine Herausforderung – nicht zuletzt in der Rezession. Aktuell beträgt die Förderquote des Bundes durchschnittlich 85 Prozent. „Ich glaube, dieses Geld ist sehr gut angelegt. Es geht schließlich nicht nur um das Klima, sondern auch um die Menschen und um Standortattraktivität.“ Die nächsten Jahre werden also die Jahre der Wahrheit: für den ÖPNV, die Kommunen und das Klima. /

(Dieser Artikel erschien in der WNA-Ausgabe 12/2022+1/2023.)

 

Wendlinger Kurve

Der „Großen Wendlinger Kurve“ kommt für eine bessere Kapazität auf der regionalen Bahnstrecke Richtung Stuttgart eine enorme Bedeutung zu. Mit ihr würde der Übergang an der Schnellbahnstrecke bei Wendlingen endlich zweispurig und kreuzungsfrei. Die Planungen laufen. Das Anhörungsverfahren beim Regierungspräsidium Stuttgart ist mittlerweile abgeschlossen. Mittlerweile ist das Eisenbahn-Bundesamt am sprichwörtlichen Zug – es muss über die Pläne der Bahn entscheiden. Der Haken: Zu einem echten Sachstand will man sich dort nicht äußern. „Eine zeitliche Prognose für den Abschluss des Verfahrens ist derzeit leider nicht möglich“, heißt es auf WNA-Anfrage. Begründet wird das nicht. Bis 2023 dauert es auf jeden Fall, auch ein Datum im Jahr 2024 erscheint realistisch.