Klimaneutrale Wirtschaft

Klimaneutrale Wirtschaft

Die Folgen des Ukraine-Kriegs zeigen: Nachhaltigkeit duldet keinen weiteren Aufschub. Auch aus eigenem Interesse. Einige Unternehmen hierzulande machen ihre Hausaufgaben – und wollen darüber hinaus den Mittelstand zum Klimaschutz animieren.

IHK Reutlingen, Tübingen und ZollernalbFoto: pogonici/shutterstock.com

Das Tempo hat angezogen. Bis 2040 will Baden-Württemberg Klimaneutralität erreichen. In Sachen Photovoltaik ist das Land relativ gut aufgestellt, in Sachen Windkraft weniger. Indes verlangt die Wirtschaft nach grünem Strom – um in der Energieversorgung unabhängiger zu sein, aber auch um die Klimabilanz zu verbessern.

100 Prozent klimaneutral
„Ökostrom ist sicher ein einfacher Hebel, um anzufangen“, meint Philipp Wacker. Sein Unternehmen, die Riegler & Co. KG, verwendet schon seit zehn Jahren Ökostrom. Das macht sich jetzt bezahlt. Gerne würde man noch mehr davon profitieren: „Aber für Solarzellen bekommt der Standort einfach zu wenig Sonne ab.“ Vor drei Jahren begann Riegler, mithilfe eines externen Dienstleisters den CO₂-Fußabdruck seiner gesamten Wertschöpfungskette zu messen und zu bilanzieren. Heute bezeichnet sich das Unternehmen als 100 Prozent klimaneutral.

Philipp WackerFoto: PR

„Beim Klimaschutz Vorbild zu sein, ist für mich als Unternehmer auch eine Herzensangelegenheit.“

Philipp Wacker, Geschäftsführer der Riegler & Co. KG, Bad Urach

Schmerzzone Logistik
Die Bad Uracher sind hierzulande einer der größten Anbieter für Anwendungen in Druckluft und Pneumatik und beliefern vor allem technische Händler oder Erstausrüster, sogenannte Orginial Equipment Manufacturer (OEM). Zwei Drittel des CO₂-Ausstoßes entstehen in der Logistik. Das heißt, beim Einkauf und beim Versand der Ware. Beim Versand hat man bisher 640 Tonnen CO₂ eingespart, indem man unter anderem mit entsprechenden Anbietern klimaneutral versendet. Die Fahrzeugflotte wird sukzessive auf Hybrid- und Elektro-Antrieb umgestellt.

Den Fußabdruck im Einkauf habe man weitaus weniger in der Hand. Wenn es aus qualitativen Gründen Sinn mache, so Wacker, versuche man regional oder europäisch einzukaufen. Für den Ausgleich nicht vermeidbarer Emissionen nutzt Riegler Klimaschutz-Zertifikate. Auf die will Philipp Wacker aber langfristig auch verzichten. „Hier Vorbild zu sein, ist für mich als Unternehmer auch eine Herzensangelegenheit.“

Matthias GebhardFoto: PR

„Wer Nachhaltigkeit nicht bald auf die Kette kriegt, wird bald ernsthafte Probleme bekommen.“

Matthias Gebhard, Geschäftsführer der Bergfreunde GmbH, Kirchentellinsfurt

Direkte Emissionen stark reduziert
Die in Kirchentellinsfurt ansässige Bergfreunde GmbH ist europaweit der größte Onlinehändler im Outdoor-Bereich und machte im Pandemie-Jahr 2021 über 200 Millionen Euro Umsatz. Seit einiger Zeit investiert man auch gezielt in seine Klimabilanz. Nach einer Branchenmesse 2019, auf dem Höhepunkt der Fridays-for-Future-Bewegung, ging es los. „Die Fragen, was unsere Branche da eigentlich tut, wurden dringlicher. Von der Kundenseite, aber auch von eigenen Mitarbeitern“, sagt Geschäftsführer Matthias Gebhard. 

Allein die direkten Emissionen haben die Bergfreunde von 106 Tonnen CO₂ in 2018 auf 27 Tonnen reduzieren können. Das liegt unter anderem am hochautomatisierten, roboterbasierten Logistikzentrum sowie der Umstellung auf grünen Strom und dem Ausbau von Homeoffice. Als die größten Schmerzzonen gelten auch beim Onlinehändler der Versand und die Handelsware. Während man bei Ersterem kontinuierlich optimiert, indem man beispielsweise mehr Recyclingmaterial bei Verpackungen verwendet oder Retouren plastikfrei aufbereitet, versucht man gleichzeitig, mehr Einfluss auf die Hersteller zu nehmen. Dafür hat man vor genau einem Jahr ein offenes Netzwerk europäischer Outdoorhändler initiiert, um die Lieferanten zu mehr Klimaschutz zu bewegen.

Erfahrungen teilen
Die eigenen Erfahrungen machen die Bergfreunde zudem öffentlich und wollen sie bewusst mit anderen Unternehmen teilen. Als Arbeitshilfe haben sie ein zwölf Seiten umfassendes White Paper zusammengestellt. In Kürze: einfache Ziele setzen und strategisch ausbauen, sich global vernetzen und öffentlich bekennen sowie konstant dranbleiben. Denn die Klimabilanz, so Gebhard, sei keine starre Tabelle, sondern müsse immer wieder angepasst werden.

Die Inflation und die Energiekrise sind für den Firmenchef kein Grund, Klimaneutralität aufzuschieben. „Es gibt keinen besseren Zeitpunkt als jetzt. Wer Nachhaltigkeit nicht bald auf die Kette kriegt, wird bald ernsthafte Probleme bekommen – mit Kunden, Anlegern und potenziellen Mitarbeitern.“

Heinrich SülzleFoto: PR

„Klimaneutralität ist für uns alternativlos.“

Heinrich Sülzle, Geschäftsführer der Sülzle-Gruppe, Rosenfeld

In Zukunftsmärkte investieren
„Ohne ganzheitlich gelebte Nachhaltigkeit gäbe es ein Familienunternehmen wie unseres gar nicht mehr“, sagt Heinrich Sülzle, der Geschäftsführer der Rosenfelder Sülzle-Gruppe. Das in der vierten Generation inhabergeführte Unternehmen entwickelt sich kontinuierlich strategisch weiter und ist in vielfältigen Geschäftsfeldern tätig. „Aktuell befinden wir uns in einer Zeit, die global und über alle Branchen hinweg von großen Umbrüchen geprägt ist“, so Sülzle weiter.

In der Tat: Vor allem die Stahlindustrie steht vor dem größten Umbruch ihrer Geschichte, indem sie daran arbeitet, die Produktion auf klimaneutral umzustellen. Sülzle zählt in den Bereichen Bewehrungsstahlhandel und Anarbeitung zu den führenden Anbietern in Deutschland – und gilt als Vorreiter der Branche in Sachen ökologischer Nachhaltigkeit: 2020 trat die gesamte Firmengruppe der Initiative „Allianz für Entwicklung und Klima“ bei und verpflichtete sich, die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen umzusetzen und in der Unternehmenskultur zu verankern. Direkte Emissionen wurden, wo es möglich ist, reduziert. Zum Beispiel über Ökostrom, Photovoltaik und E-Mobilität. Durch die Unterstützung zertifizierter Projekte – wie zur Gewinnung erneuerbarer Energien – kompensiert man unvermeidbare Emissionen.

Sülzle weiß um seine Rolle auf dem Markt und setzt die Wertschöpfungskette dafür durchaus unter Druck. Vieles versprechen die Rosenfelder sich davon, Kapitalgeber für Start-ups zu sein, deren Innovationen sich mit Energie und Kreislaufwirtschaft beschäftigen. Ein Jungunternehmen sei zum Beispiel dabei, die Kohlenstoffkreisläufe durch rohstoffliches Kunststoffrecycling zu schließen. „Klimaneutralität ist für uns alternativlos. Und es sollte auch andere anspornen. Meine Empfehlung an jeden Unternehmer: Fangen Sie heute damit an, nachhaltig zu handeln.“ /

(Dieser Artikel erschien in der WNA-Ausgabe 8+9/2022.)