Wie erleben Unternehmerinnen und Unternehmer die ehrenamtliche Arbeit in der IHK-Vollversammlung? Welche Themen beschäftigen sie, welche Projekte liegen ihnen besonders am Herzen? WNA hat drei langjährige Vollversammlungsmitglieder, die bei der aktuellen Wahl nicht mehr antreten, nach ihren Erlebnissen befragt.

Als Mathias Seidler 1995 seine erste Amtszeit in der IHK-Vollversammlung antrat, trug diese noch einen anderen Namen: Er wurde Mitglied des Kammerkollegiums. „Damals hatte ich gerade ein Unternehmen übernommen. Mein Vorgänger – mein ehemaliger Chef Gottfried Fallert – hatte sich in der Vollversammlung engagiert und ich fand es wichtig, seine Arbeit auch dort fortzusetzen“, erzählt er. „Für mich ist die IHK-Vollversammlung das Unternehmerparlament, das die Anliegen der regionalen Wirtschaft an die Politik kommuniziert, sei es nach Stuttgart oder bis nach Berlin. Wir Unternehmerinnen und Unternehmer können diese Arbeit unterstützen, sei es passiv als Wähler oder aktiv als Kandidaten.“
In der Region etwas bewegen
Wenn Mathias Seidler zum Ende der laufenden Wahlperiode aus der IHK-Vollversammlung ausscheidet, kann er auf 25 aktive Jahre im Gremium zurückblicken. Seit 1995 gab es nur eine einzige Legislaturperiode, für die er nicht kandidiert hat. „Ich muss schon sagen, in diesen drei Jahrzehnten ist einiges passiert. Allein die Digitalisierung! Zu den ersten Projekten im Kammerkollegium haben wir noch Briefe geschrieben. Und wenn es schnell gehen musste, haben wir ein Fax verschickt“, erzählt Mathias Seidler lachend. „Heute passiert immer mehr in digitaler Echtzeit. Dadurch ist auch die IHK-Vollversammlung noch wendiger und produktiver geworden. Ärgerlich ist nur, dass so viele Projekte durch Bürokratie ausgebremst werden.“
Woran er denkt, wenn er davon spricht? Zum Beispiel an die Instandhaltung der Straßen und Brücken. „Neben der Vollversammlung engagiere ich mich auch im IHK-Verkehrsausschuss und im IHK-Dienstleistungsausschuss. Eines der Themen, die mich da schon lange beschäftigen, ist die B 27, deren Ausbau sich ja inzwischen seit vielen Jahren hinzieht“, erklärt Seidler. „Nicht weil es am Geld fehlt: Das ist alles geklärt. Und Teile wurden ja auch schon umgesetzt. Nur müssen jetzt wieder bürokratische Hürden überwunden werden, damit es weitergehen kann.“ Er seufzt, schüttelt den Kopf. „Aber bei solchen Projekten merkt man immerhin, dass man in der Region wirklich etwas bewegen kann, wenn man dranbleibt.“

Den eigenen Horizont erweitern
Dass manche Projekte eher einem Marathon als einem Sprint gleichen, das weiß auch Dr. Hans-Ernst Maute. „Aber ist das nicht wie überall im Leben?“, überlegt er. „Das eigentlich Wichtige ist doch, dass wir mitwirken und mitgestalten können.“ Aus dieser Überzeugung heraus übernahm er im Lauf der Zeit diverse IHK-Ehrenämter. Im Jahr 2000 wurde er zum Vorsitzenden der gemeinsamen Einigungsstelle für Wettbewerbsstreitigkeiten in der gewerblichen Wirtschaft gewählt. Ab 2005 machte er sich zwei Jahrzehnte lang als Mitglied der Vollversammlung sowie als Vizepräsident im IHK-Präsidium für die Wirtschaft in der Region stark.
„Was ich immer besonders wertvoll fand, war der Austausch mit anderen Führungskräften“, erzählt er. „Im Präsidium und auch in der Vollversammlung hat man neben den Kollegen aus der Wirtschaft auch mit Vertretern der Politik, mit Verbänden und Kultureinrichtungen zu tun. Deren Ansichten zu aktuellen Themen zu erfahren und gleichzeitig einen Überblick über Entwicklungen in der Region zu erhalten – das beeinflusst oder festigt gelegentlich auch die eigene Meinung. Außerdem ermöglicht die enorme Bandbreite der Perspektiven Erkenntnisse, die man allein aus der eigenen Berufstätigkeit heraus nie gewonnen hätte.“
Bildung fördern
Gab es Projekte, die ihm während seiner Zeit in der Vollversammlung besonders am Herzen lagen? „Die Initiative ,Wirtschaft macht Schule‘“, antwortet Dr. Hans-Ernst Maute wie aus der Pistole geschossen. „Dass man selbst am Gymnasium kaum etwas über wirtschaftliche Zusammenhänge lernt, das war mir schon in meiner eigenen Schulzeit unverständlich. Als die IHK sich zum Ziel gesetzt hat, daran etwas zu ändern, war ich sofort dabei. Und die Begeisterung hat seitdem kein bisschen nachgelassen. Ganz im Gegenteil: Inzwischen sind daraus sogar langjährige Schulkooperationen entstanden.“

Herzensthema Bildung
Auch für Eva-Maria Rühle ist Bildung ein echtes Herzensthema. Sie war mehr als dreißig Jahre lang Vorsitzende des Dehoga-
Berufsbildungsausschusses und hat in drei verschiedenen Kammern in Baden-Württemberg Prüfungen abgenommen und Ausbildungsverhältnisse betreut. „Dadurch habe ich auch meinen Weg in die Vollversammlung gefunden“, erinnert sie sich. „Als Prüferin habe ich viele Mitglieder und Mitarbeiter der IHK Reutlingen kennengelernt. Und eines Tages kam es dann, wie es kommen musste: Ich wurde gefragt, ob ich mir nicht vorstellen könnte, für ein weiteres Amt zu kandidieren.“
Mut zum Ehrenamt machen
Wer etwas bewegen will, muss zuallererst wählen gehen – davon ist Eva-Maria Rühle überzeugt: „Die IHK ist unser Sprachrohr.
Deshalb sollte jeder Unternehmer ein Interesse daran haben, dass seine Branche in der Vollversammlung vertreten ist.“ Sie selbst war drei Wahlperioden lang Mitglied der Vollversammlung und hat in dieser Zeit an vielen verschiedenen Projekten mitgewirkt. „Den größten Spaß hat mir aber immer das Prüferamt gemacht“, erzählt sie. „Neue Generationen auf dem Weg ins Berufsleben zu unterstützen, das war mein Leben. Deshalb hat es mir auch große Freude bereitet, Reutlingen im DIHK-Bildungsausschuss in Berlin zu vertreten.“
Eva-Maria Rühle ist weiterhin im IHK-Tourismusausschuss und im IHK-Gremium Reutlingen aktiv, doch für die Vollversammlung kandidiert sie nicht mehr. Stattdessen spricht sie jungen Kolleginnen und Kollegen Mut zu, sich für die Wahl aufstellen zu lassen. „Ich sage ihnen: Traut euch, bringt euch ein! Nicht nur für die Branche, auch für euch selbst. Durch die Vollversammlung habe ich so viel dazugelernt, so viele Kontakte geschlossen – das hat mein Leben enorm bereichert, beruflich wie privat. Und wer dann noch nicht überzeugt ist, dem schwärme ich von den IHK-Empfängen vor“, fügt sie mit einem Augenzwinkern hinzu. „Die waren für mich auch immer ein echtes Highlight.“ /
(Dieser Artikel erschien in der WNA-Ausgabe 4+5/2025.)