Wo realistische Darstellung auf digitales Potenzial trifft, entstehen virtuelle Räume mit vielen Möglichkeiten. Zwei Unternehmen aus Hülben und Tübingen erklären, wie sie für Kunden aus Kunst, Kultur und Wirtschaft im Metaverse 3D-Simulationen zum Leben erwecken.

Eine digitale Parallelwelt, dreidimensional, immersiv und voller Möglichkeiten: Das ist das Metaverse, wie es Neal Stephenson im Jahr 1992 in seinem Roman „Snow Crash“ beschrieben hat. Was als Gedankenexperiment in der Science-Fiction begann, ist inzwischen virtuelle Realität.
„Stephensons Vorstellung vom Metaverse kommt heutigen Online-Spielwelten erstaunlich nahe“, meint Julian Hermle, Geschäftsführer der CMC Engineers GmbH in Hülben. Als Experte für technische Visualisierungen im Bereich des Maschinen- und Anlagenbaus beschäftigt er sich schon seit Jahren mit den virtuellen Welten der Zukunft. „Grob vereinfacht ist das Metaverse ein konzeptioneller Raum, in dem ein Ausschnitt aus unserer Lebenswelt simuliert wird“, erklärt er. „Der Knackpunkt und große Unterschied zu anderen Simulationen besteht allerdings darin, dass die User über Avatare mit diesem Metaverse interagieren können – in Echtzeit und auf eine möglichst realistische Art und Weise.“

Im Metaverse können sich Stakeholder aus aller Welt treffen
Julian Hermle, Geschäftsführer der CMC Engineers GmbH, Hülben
Industrial Metaverse
Die CMC Engineers haben sich auf Echtzeit-3D-Visualisierungen für die Industrie spezialisiert. „Wir beschäftigen uns mit dem sogenannten Industrial Metaverse“, erläutert Julian Hermle. „Das bedeutet, dass es branchenspezifische Anforderungen gibt, die wir in einer virtuellen Umgebung bearbeiten können – etwa in Bereichen wie Prozessoptimierung oder Innovationsmanagement.“
Ein Beispiel dafür wäre das Lager, das Hermle und sein Team unlängst gemeinsam mit der Realvirtual GmbH aus Sinzheim (Landkreis Rastatt) für einen Kunden im virtuellen Raum abgebildet haben. Hier können nun Prozesse erprobt und sogar Trainings für neue Beschäftigte abgehalten werden, ohne den laufenden Betrieb zu unterbrechen. „Praktisch ist übrigens auch, dass sich im Metaverse Stakeholder aus aller Welt treffen können“, weiß Hermle. „So können Kollegen, die sich an unterschiedlichen Standorten eines Unternehmens befinden, an Maschinen und Anlagen arbeiten, als wären sie gemeinsam vor Ort.“
Simulation unter realen Bedingungen
Außerdem können im Metaverse Szenarien erprobt werden, die in der Realität mit allzu hohen Risiken verbunden wären. „Stellen wir uns beispielsweise eine Havarie vor“, schlägt Hermle vor. „Das ist ein Ernstfall, auf den Unternehmen vorbereitet sein sollten. Ihn in einem echten Lager unter realistischen Bedingungen zu simulieren, das wäre aber viel zu gefährlich: Schließlich könnten dabei Menschen und Material zu Schaden kommen. Im Metaverse ist das hingegen gar kein Problem. Hier können wir jede beliebige Konstellation unter authentischen Bedingungen simulieren.“
Die Grundlage dafür liefern sogenannte digitale Zwillinge (digital twins), virtuelle Kopien physischer Gegenstände und Prozesse, die möglichst viele Eigenschaften ihrer Vorbilder im virtuellen Raum des Metaverse abbilden, um einen realistischen Eindruck von Funktionen und Interaktionsmöglichkeiten zu vermitteln.

Die dritte Dimension
Digitale Zwillinge stehen auch bei der Acameo GbR im Zentrum der Digitalprojekte. Die Tübinger Gruppe für Kommunikation entwickelt analoge und digitale Erlebniswelten, die sowohl im Rahmen kommerzieller Projekte als auch in Politik, Kultur und Wissenschaft zum Einsatz kommen. „Unser Motto lautet schon seit vielen Jahren: Think offline and online together“, berichtet Geschäftsführer Frank Dürr. „Wir denken gemeinsam mit unseren Kunden darüber nach, welche Potenziale sie mit einem digitalen Zwilling erschließen könnten.“ Im Zuge dieser Analyse zeigt sich oft, dass die dritte Dimension im Metaverse für bestimmte Prozesse und Projekte große Vorteile bergen könnte. „Das entspricht auch unserer Wahrnehmung im Alltag“, fügt Dürr hinzu. „Wenn wir uns in 3D durch den Raum bewegen, fühlt sich das natürlicher an als zum Beispiel die Navigation auf einer klassischen Website.“

Unser Motto: Think offline and online together
Frank Dürr, Geschäftsführer der Acameo GbR, Tübingen
Für Unternehmen, die dieses Potenzial nutzen wollen, bietet Acameo das hauseigene Produkt „Cuuub“ an, einen digitalen Zwilling, der einen real existierenden Raum als 3D-Simulation im Metaverse erfahrbar macht. Dadurch werden neue, immersive Formen der Markeninszenierung möglich. „Ein entsprechend eingerichteter ‚Cuuub‘ hat alle Vorteile eines Showrooms, ist aber orts- und zeitunabhängig von allen Endgeräten aus zugänglich, die Kunden gerade zur Hand haben“, erklärt Dürr. „So können sich die Kunden in aller Ruhe umsehen und mit den Produkten interagieren. Gleichzeitig erfassen wir über sogenannte Heatmaps etwa die Verweildauer. So gewinnen wir vollkommen neue Einblicke in die Raumnutzung, die wir einsetzen können, um die Customer Journey datengestützt weiterzuentwickeln.“
Millimetergenaue Steuerung
Ein aktuelles Projekt des Acameo-Teams umfasst die Entwicklung digitaler Zwillinge für große Fußballstadien in Deutschland. Diese werden nicht nur für virtuelle Touren und VIP-Erlebnisse genutzt, sondern unterstützen auch das Facility-Management bei Wartung und Betrieb der Anlagen. „Ein schönes Beispiel dafür, wie das funktionieren kann, ist ein sensorgesteuerter Wasserhahn in der Business-Loge, der sich aus unerfindlichen Gründen nicht abstellen lässt“, erzählt Frank Dürr. „Aber wen ruft man jetzt an? Fußballstadien sind riesig – da kann es lange dauern, bis der richtige Ansprechpartner gefunden und informiert ist.“
An Szenarien wie diesem wird deutlich, dass virtuelle Zwillinge weit mehr sind als bloße Repräsentationen. Mit „Cuuub“ kann an der entsprechenden Stelle im Metaverse eine Aufgabe vermerkt werden – und schon erhält das Facility-Management eine direkte Nachricht mit den Koordinaten des defekten Wasserhahns und das Troubleshooting kann beginnen. So wird das Metaverse zu einem strategischen Werkzeug, das millimetergenaue Steuerung, ortsunabhängige Analyse und interaktive Kommunikation ermöglicht. /
(Dieser Artikel erschien in der WNA-Ausgabe 6+7/2025.)