Ein Jahr Ampel-Regierung

„Die Koalition diskutiert zu lange“

Am 8. Dezember 2021 wurde Olaf Scholz als Bundeskanzler vereidigt. Seitdem ist die erste deutsche Ampel-Regierung auf Bundesebene offiziell im Amt. Unternehmerinnen und Unternehmer aus der Region ziehen eine erste Zwischenbilanz.

Ampel-RegierungFoto: Alexey Erofejchev/shutterstock.com
Simon BrodbeckFoto: PR

„Die Regierung sollte ihre Vorhaben besser kommunizieren“

Simon Brodbeck, Geschäftsführer der Ebro Color GmbH, Albstadt:

Im ersten Jahr war die Ampel-Regierung hauptsächlich getrieben von der Krisenbewältigung. Ebenso wie für Unternehmen und Bürger ist diese Krise natürlich auch für die Regierenden auf allen Ebenen eine enorme Herausforderung. Mein Ratschlag für die Zukunft ist gleichzeitig meine Kritik an der Vergangenheit: Die Regierung sollte ihre Vorhaben künftig besser kommunizieren und vorgegebene Standardsätze vermeiden. Sie sollte lieber Fehler in der Kommunikation riskieren, um authentisch zu bleiben, als keine Fehler zu machen und unauthentisch zu wirken. Mehr offene Kommunikation schafft Transparenz – und Transparenz schafft Vertrauen.

Außerdem sollte sich die Regierung viel mehr mit dem Thema Bürokratieabbau beschäftigen. Das kostet nichts und wird unterm Strich einen deutlichen Effekt im Haushalt haben, da dadurch sowohl Unternehmen als auch der Staat selbst spürbar entlastet werden können. Wie wäre es also mit einem Bürokratieabbau-Wumms? /

Katja GminderFoto: PR

„Das Bürgergeld ist ein Problem für Unternehmen“

Katja Gminder, Geschäftsführerin der Albon-Chemie Dr. Ludwig-E. Gminder GmbH & Co. KG, Metzingen:

Ich bin mit der Regierung nicht zufrieden – auch wenn mir bewusst ist, dass wir momentan in einer sehr schwierigen Zeit leben. Für mich als Unternehmerin wird es immer schwieriger, nicht nur qualifizierte Beschäftigte zu gewinnen, sondern überhaupt Beschäftigte. Durch das neue Bürgergeld wird es für viele Menschen immer uninteressanter, im unteren Lohnsegment zu arbeiten.

Es kann doch aber nicht sein, dass es sich für manche eher lohnt, zu Hause zu bleiben und vom Staat auch noch Wohn- und Nebenkostenzuschüsse zu erhalten. Wer damit argumentiert, dass dann eben die Löhne weiter steigen sollen, dem sei gesagt, dass dieses Geld erstmal erwirtschaftet werden muss. Hier haben gerade wir kleinen und mittelständischen Betriebe aber keinen großen Spielraum. Wir können die höheren Kosten durch die derzeitige Preisexplosion nicht in vollem Umfang weitergeben. Zusätzlich trifft uns die Energiekrise mit voller Wucht und es ist keine wirklich wirksame Entlastung vonseiten des Staates in Aussicht. /

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„Wichtige Reformen dürfen nicht länger hinten anstehen“

Dr. Thomas Lindner, persönlich haftender Gesellschafter und Aufsichtsratsvorsitzender der Groz-Beckert KG, Albstadt:

In den vergangenen Jahrzehnten ist sicherlich keine Bundesregierung so sehr ins kalte Wasser geworfen worden wie die jetzige. Zur Corona-Krise kam im Frühjahr der russische Angriffskrieg in der Ukraine hinzu – beides Themen, die nicht nur die deutsche Politik beherrschten. Trotz dieser immensen internationalen Herausforderungen dürfen wichtige Themen und Reformen in Deutschland nicht länger hinten anstehen.

Um die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland international zu stärken, sind umfassende Steuerreformen notwendig. Ein reformiertes Steuerrecht könnte einen entscheidenden Beitrag leisten, um mehr private Investitionen zu fördern – und damit Innovation und Wachstum. Das sichert nicht nur die Beschäftigung von zigtausenden Menschen, sondern hilft auch, die immense Belastung der öffentlichen Haushalte durch die Corona-Krise zu bewältigen. /

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„Mir fehlen klare Aussagen“

Joachim Link, geschäftsführender Gesellschafter der Interstuhl Büromöbel GmbH & Co. KG, Meßstetten-Tieringen:

In der derzeitigen vielschichtigen Krise sind schnelle staatliche Maßnahmen und Zeichen seitens der Bundesregierung wichtiger denn je. Mir fehlen klare Aussagen – wie ‚Die Energieversorgung in Deutschland ist sicher‘ und ‚Wir alle in Deutschland müssen mehr leisten, um unseren Wohlstand halten zu können‘ – ebenso wie Entlastungspakete, die auch beim Mittelstand ankommen, und langfristige Maßnahmen, die den Wirtschaftsstandort Deutschland international wettbewerbsfähig halten.

Die Koalition diskutiert zu lange – sie muss nun endlich handeln. Wir sind eine der führenden Industrienationen. Unser Ehrgeiz muss es sein, nicht nur Vorbild in Sachen Klimaschutz zu sein, sondern auch in den Bereichen Verkehr, Innovation, Bildung, Digitalisierung, Energieversorgung, Kommunikation und Administration. Wir als Familienunternehmen gehen diesen Weg gerne mit: Für uns geht es um unsere langfristige Existenz am Standort Deutschland. /

(Diese Statements erschienen in der WNA-Ausgabe 12/2022+1/2023.)

 

Zahlen

9 Abgeordnete im aktuellen Bundestag stammen aus der Region Neckar-Alb. 5 von ihnen gehören den Regierungsparteien an.

499.656 Personen waren laut Bundeswahlleiter bei der Bundestagswahl 2021 in den Landkreisen Reutlingen, Tübingen und Zollernalb wahlberechtigt.

390.502 Wählerinnen und Wähler gaben letztlich ihre Stimme ab. Das entspricht einer Wahlbeteiligung von 78,2 Prozent.