Jazz klingt locker und frei, ein Leben als freischaffende Jazzmusikerin hat es dagegen ganz schön in sich. Im Interview spricht Rebecca Trescher über die Herausforderungen ihres Berufs und über den Einfluss ihrer Geburtsstadt Tübingen auf ihren Sound.

WNA: Frau Trescher, wie viel Talent und wie viel harte Arbeit braucht es, um als Musikerin oder Musiker langfristig erfolgreich zu sein?
Trescher: Talent ist auf jeden Fall wichtig, aber die innere Vision und der Umsetzungsdrang sind wichtiger. Man braucht eine Freu-
de am Prozess, man muss hungrig sein nach Neuem, darf keine Angst vor Fehlern haben. Musikerin oder Musiker ist ein sehr inkonstanter Beruf, bei dem es aber wichtig ist, dass man konstant übt, schreibt und dranbleibt. Man muss an die eigene musikalische Vision glauben und diese weiterbringen. Und natürlich neugierig und positiv bleiben, Freude daran haben. Man darf nicht stehen bleiben.
Wann war Ihnen bewusst, dass Sie Musik zu Ihrem Beruf machen wollen?
Ich habe schon früh eigene Melodien oder kleine Kompositionen entwickelt. Das hat mich fasziniert, ich hatte einen Forscherdrang. Aber ich hätte mir genauso gut Musiktherapie als Beruf vorstellen können, es sollte nur etwas Kreatives sein. In der Oberstufe bin ich auf den Nürnberger Professor Steffen Schorn gestoßen, dessen Musik mich total inspiriert hat. Durch Klarinettenunterricht bei ihm habe ich diese Welt, den Kosmos der Improvisation, erst entdeckt. Das hat mich richtig überzeugt, ich wollte das auch so können.
Musiker ist ein sehr inkonstanter Beruf, bei dem es aber wichtig ist, dass man konstant übt und dranbleibt
Rebecca Trescher
Wie würden Sie Ihren eigenen Sound beschreiben?
Mein Klangstil hat sich über die Jahre entwickelt, aber vieles ist auch gleich geblieben. Ich mag es obertonreich, aber nicht schrill. Einen dunklen, hölzernen, weichen Klang. Nebulös und rund, auch mit Luft oder Atem. Die Klarinette passt dazu natürlich wie die Faust aufs Auge. Sie ist ein sehr flexibles, facettenreiches Instrument. Manchmal total laut und dominant, dann wieder weich und sanft. Gerade weil die Klarinette so viel kann, konnte ich mich ausprobieren und weiterentwickeln. Hinzu kommt, dass ich über die Jahre die passenden Musiker gefunden habe, die meine Ideen zum Klingen bringen. Für das Komponieren ist das ein absoluter Luxus.
Wie sieht denn der Prozess des Komponierens bei Ihnen aus?
Meistens komponiere ich zu Hause, wo ich meine Ruhe habe. Am liebsten am Klavier oder an der Klarinette, ganz analog mit Papier und Stift. An meinem Klavier steht eine große Pappe, an der ich einzelne Notenblätter mit Wäscheklammern befestigen kann. Da hängen oft nur Schnipsel, die ich später wie Puzzleteile zusammensetze. Hätte ich die Ursprungsidee nicht aufgeschrieben, wäre sie weg – so kann ich damit probehalber aufnehmen, improvisieren. Auch Tage, nachdem ich den Zettel aufgehängt habe. Wie ein Maler, der erst aus vielen Farben seine Vision realisieren kann und alles so vermischt, wie er es sich vorstellt. Für manche Stücke brauche ich wirklich lang, andere sind schon am Anfang fast fertig.
Haben sich Ihre Musik und Ihre Herangehensweise an das Komponieren über die Jahre verändert?
Wenn ich heute eine Melodie schreibe, habe ich oft schon einen Musiker und dessen Klang, dessen Sound, dessen Instrument im Ohr. Früher habe ich zuerst den Nukleus der Melodie kreiert und erst dann die Ideen arrangiert und verwoben. Trotzdem gibt es auch heute immer noch neue Ideen, bei denen ich gar keine Vorstellung habe und am Suchen bin, egal wie viel Erfahrung ich ansammle. Ich komponiere langsam, nehme mir Zeit – brauche sie aber auch. Allerdings bin ich über die Jahre wenigstens ein bisschen schneller geworden.

Wie lange arbeiten Sie an einem Album?
Ich finde es immer gut, wenn man sich mindestens ein halbes Jahr Zeit nimmt. Aber das ist nicht realistisch: Manchmal hat man nur vier Wochen, manchmal hat man ein ganzes Jahr. Deswegen macht meistens der Zeitplan die Musik. Am besten ist es natürlich, wenn man auch mit wenig Zeit etwas in Proben durchprobieren, auf Bühnen entwickeln kann – und das, lange bevor man in die Aufnahme geht. Es läuft erst dann richtig, wenn das Publikum nicht mehr weiß, was komponiert und was improvisiert ist.
Sie wurden im Jahr 2022 vom US-amerikanischen Downbeat Magazine als „Rising Star Klarinette“ ausgezeichnet – ist der Druck seither höher?
Nein, ganz im Gegenteil. Das war einfach cool, ich habe mich total gefreut. Bis dahin war mir nicht wirklich bewusst, dass es meinen Namen auf der internationalen Bühne gibt, dass auch in Amerika jemand zuhört. Ich bin erst seit zehn Jahren in diesem Beruf und trotzdem ist meine Arbeit sichtbar, hörbar. Das hat mich ermutigt, dranzubleiben und weiterzumachen.
Ich bin als Musikerin auch Unternehmerin
Rebecca Trescher
Gibt es etwas, was Sie sich für Ihren Beruf wünschen würden?
Dass man als freischaffende Musikerin auch strukturelle Förderung bekommt. Die gibt es etwa in Skandinavien oder Frankreich. Durch das Vorweisen von jährlichen Konzerten bekommt man ungefähr drei Jahre lang eine Art Basiseinkommen. Damit ist zumindest die Miete gesichert. Für klassische Musikerinnen und Musiker gibt es viel mehr Möglichkeiten für eine Festanstellung, mehr institutionalisierte klassische Orchester und Konzerthäuser in Deutschland. Diese Infrastruktur gibt es für die freie Musikszene leider nicht.
Wirkt sich das negativ auf die Arbeit junger Musiker aus?
Wer als junger Musiker um seine Existenz kämpft, kann sein musikalisches Potenzial nicht ausschöpfen. Die Musik steht niemals still, man muss sich immer weiterentwickeln und sollte ein selbstkritischer Geist bleiben. Das ist einfacher, wenn man Zeit für die Kunst hat und nicht sorgenbelastet ist. Ich wünsche mir deshalb für die Zukunft, dass wir Platz in institutionalisierten Häusern bekommen, dass es mehr Genre-Freiheit gibt. Und damit auch mehr Möglichkeiten.
Was hat Sie am Anfang an Ihrem Beruf überrascht?
Wie viel der Arbeit eigentlich überhaupt nichts mit Musik zu tun hat. Klar, ich bin Musikerin, Komponistin, Produzentin, Konzeptionistin. Aber ich mache auch PR, kümmere mich um Buchungen, Logistik und die Tourplanung. Und dazu kommt noch alles für Social Media, da man präsent sein muss. Mir war natürlich bewusst, dass ich nicht nur Musik machen werde. Aber es ist wirklich eine unglaubliche Menge an Skills, die man braucht. Ich bin nicht nur Musikerin, sondern auch Unternehmerin geworden.
Heute wird viel Musik digital produziert, zum Teil sogar bereits von künstlicher Intelligenz. Geht die Wertschätzung für Künstler damit verloren?
Das glaube ich nicht, da mache ich mir keine Sorgen. KI birgt total viele Chancen, aber kreativ zu sein, ist ein wichtiges Bedürfnis von Menschen. Der Schaffensprozess, das Proben, das Konzertegeben. Das alles lebt von Menschen, die sich gegenseitig spüren, die aufeinander eingehen. Wenn eine KI alles produzieren würde, wäre das ein ganz anderes Gefühl. Künstler wird es demnach immer geben. Der Beruf verändert sich zwar, aber ich glaube daran, dass wir weiterhin unsere Musik spielen und erschaffen werden.
Ist Profimusiker also ein Job mit Zukunftsperspektive?
Die Zeiten werden zwar momentan nicht einfacher, aber es wird immer Musikerinnen und Musiker brauchen. Kompromisslos seine Kunst zu machen, ist gut und wichtig. Man muss flexibel sein, darf nicht verbissen werden. Wenn man eine starke Vision hat und sich auch von bleiernen Zeiten nicht aufhalten lässt, dann findet jeder seinen Platz. Aber man kann nicht sagen „Ich will nur das eine machen“, man muss sichbreit aufstellen. Ich habe meinen Weg durch meine Lehrtätigkeit und das Geben von Klarinettenunterricht stützen können. Ich denke, Offenheit, Neugierde, Mut und Empathie sind die wichtigsten Eigenschaften, um seinen eigenen Weg zu finden.
Hat Ihr Geburtsort Tübingen noch Einfluss auf Ihre Musik?
Viel von meiner Inspiration kommt aus meinem Alltag und dem Beobachten. Das habe ich als Kind natürlich auch schon gemacht. Ich bin immer gern im Tübinger Rammert gewesen oder mit den Pferden meines Großvaters ausgeritten. Die Stadt selbst hat für mich etwas Romantisches, ist durch die Studierenden sehr jung und lebendig. Das hat mich immer fasziniert, ich kann bis heute aus dem Stadtgefühl schöpfen. Auch wenn ich nicht mehr oft in Tübingen bin – meine ganze Kindheit ist immer noch in mir. Die Tübinger Zeit ist sehr wichtig für mein momentanes Schaffen, ich komme gerne zurück. /
(Dieses Interview erschien in der WNA-Ausgabe 2+3/2025.)
Vita
Rebecca Trescher wurde 1986 in Tübingen geboren.
Von 2004 bis 2006 war sie Teil der Jungen Sinfonie Reutlingen. Von 2008 bis 2015 studierte sie Jazzklarinette und Komposition an der Hochschule für Musik Nürnberg sowie Komposition an der Hochschule für Musik und Theater München.
Seit 2019 leitet Trescher das mehrfach ausgezeichnete „Rebecca Trescher Tentett“.
Seit dem Wintersemester 2022/2023 lehrt sie an der Hochschule für Musik in Nürnberg in den Fächern Ensembleleitung Jazz, Combo und Improvisation. Seit dem Sommersemester 2024 lehrt sie zudem am Jazz-Institut Berlin.
Rebecca Trescher hat bereits acht Alben veröffentlicht. In ihrem aktuellen Album „Character Pieces“ verarbeitet sie Ideen der Musiker ihres Tentetts.