IHK-Präsident für Reformagenda

„Die Wirtschaft will keine Gipfel mehr“

Dieser Herbst hatte es in sich: erst die US-Wahl und dann der Bruch der Ampel. IHK-Präsident Christian O. Erbe fordert eine neue Wirtschaftspolitik und mehr Investitionen. 

Christian O. Erbe sitzt an seinem Schreibtisch und gibt ein InterviewIHK-Präsident Christian O. Erbe fordert im WNA- Interview mehr Interesse der Politik an Problemen der Unternemen. Foto: Horst Haas

WNA: Herr Erbe, lassen Sie uns mit Berlin anfangen. Wie plötzlich kam für Sie das Ende der Ampel-Koalition? 
Erbe: Das Aus der Regierung kam nicht mehr völlig überraschend. Zum Glück konnte das Gezerre um den neuen Wahltermin da-
nach relativ schnell erledigt werden. Ich hoffe nun sehr, dass wir in dieser Übergangsphase über Parteigrenzen hinweg zu 
politischer Handlungsfähigkeit zurückkehren. Das erwarten auf jeden Fall die Unternehmerinnen und Unternehmer.

Was muss jetzt passieren? 
Wichtig ist: Es muss etwas passieren! Wir können nicht warten, bis gewählt wurde und sich eine neue Regierung auf einen Koalitionsvertrag und die Postenverteilung geeinigt hat. Wir müssen auch in den kommenden Wochen zu Entscheidungen kommen. Stillstand können wir uns nicht leisten. Die aus meiner Sicht dringende Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik muss schon jetzt beginnen.

Woran machen Sie das fest? 
Wir sind in Deutschland in einer strukturellen Krise, die weit über alle konjunkturellen Faktoren hinausgeht, die uns die Welt derzeit beschert. Ich merke das bei allen Gesprächen, die ich mit Unternehmerinnen und Unternehmern führe: Die Stimmung ist nicht gut und der Blick nach vorne ist leider zu wenig optimistisch. Den Firmen macht in erster Linie die Lage bei uns zu schaffen: hohe Energiepreise, enorme Arbeitskosten. Dazu viel Bürokratie, Steuern und Abgaben, die nur eine Richtung kennen.  

Können wir das Ruder noch herumreißen? 
Wir müssen. In Deutschland fällt uns auf die Füße, dass wir beim Bürokratieabbau und bei den Investitionen in Verkehr, Energie oder Bildung über Jahre viel zu wenig getan haben. Unser Standort verliert zunehmend an Boden. Wir brauchen daher eine neue Reformagenda.

Was sollte die neue Regierung mitbringen? 
Zwei Dinge: Wir brauchen ein echtes Interesse an wirtschaftlichen Zusammenhängen. Das habe ich in den letzten Jahren oft vermisst. Schauen wir auf den Bürokratieabbau. Er wird seit Jahren versprochen; als IHKs bringen wir uns mit vielen Vorschlägen ein. In der Praxis gelingt es jedoch nicht, für eine neue Regelung eine alte abzuschaffen, wie es eigentlich das Ziel ist. Der aktuelle Report des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi weist 13.000 neue Regelungen in fünf Jahren auf europäischer Ebene aus. Die vier Bürokratieentlastungsgesetze des Bundes kamen trotz guter Ansätze dem Auswuchs an zusätzlichen Vorschriften gar nicht hinterher. Die Betriebe müssen für die Erledigung aller Regelungen viel Zeit, Personal und Geld einsetzen, ohne dass sie dabei produktiv sind. Das schmerzt enorm. 

Wir haben jahrelang zu wenig in Verkehr, Energie und Bildung investiert

IHK-Präsident Christian O. Erbe

Und das Zweite? 
Wir brauchen Geschwindigkeit, Entscheidungsfreude und Mut für unpopuläre Entscheidungen. Die Wirtschaft will keine Gipfel oder Aktionspläne mehr erleben oder lange Diskussionen über Schulden, Sondervermögen und Subventionen. Schlechte Standortbe-
dingungen lassen sich nicht originär über die Finanzpolitik lösen. Wir brauchen eine gute Wirtschaftspolitik und weniger Kreativität beim Gestalten von Ausgaben.

Donald Trump wurde erneut zum US-Präsidenten gewählt. Was erwarten Sie? 
Die heimische Wirtschaft muss sich auf Zölle und zusätzliche Handelsbarrieren einstellen. In diversen Verlautbarungen von 
Donald Trump war von Einfuhrzöllen in Höhe von 10 bis 20 Prozent auf europäische Waren die Rede. Das wird uns in der Region stark treffen, weil dadurch Exporte deutlich teurer werden.

Ist das das Ende des Exportbooms in der Region? 
Nicht, wenn es uns gelingt, unsere Exportstrategie anzupassen und Abhängigkeiten zu vermeiden. Im europäischen Binnenmarkt und in Südost- und Zentralasien sollten Firmen noch Märkte und Abnehmer finden. Was wir aber noch stärker beobachten sollten: Regionale Unternehmen könnten gezwungen sein, sich mit eigener Produktion stärker in den USA zu engagieren, um die Zugangsbarrieren zu umgehen. Das hätte echte Auswirkungen auf die Region: Produktion würde verlagert, das träfe auch heimische Arbeitsplätze

Sind Sie angesichts der vielen Herausforderungen noch Optimist?
Ich bin Unternehmer und von daher immer Optimist. Es muss uns gelingen, unsere Stärken wieder auszuspielen, also die Umsetzung von Wissen in Produkte. Wir brauchen mehr Erfindergeist, Fleiß und Disziplin – und nicht zuletzt den Mut, neue Wege einzuschlagen. Mit dieser Mischung haben wir schon andere Krisen überwunden. /

(Dieses Interview erschien in der WNA-Ausgabe 12/2024+1/2025.)

Dr. Wolfgang Epp

Dr. Wolfgang Epp

Hauptgeschäftsführung,
IHK-Zentrale
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Schwerpunkte: Gesamtleitung
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Hintergrund

Christian O. Erbe ist seit 2010 im Ehrenamt Präsident der IHK Reutlingen. Der Tübinger Unternehmer war bis Mitte November 2024 zusätzlich Präsident des Baden-Württembergischen IHK-Tags, der Vereinigung der zwölf IHKs im Land.

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