Berufliche Weiterbildung zahlt sich aus
Meister, Fachwirte & Co: Beruflich Qualifizierte haben fast ihr ganzes Erwerbsleben lang finanziell die Nase vorn: Schulabschluss in der Tasche und dann? Erstmal studieren! So lautet die Antwort vieler junger Menschen, die vor der Wahl zwischen Studium und Ausbildung stehen. Dass der Trend immer stärker hin zum Studium geht, spiegelt der Arbeitsmarkt deutlich wider: Mehr als jeder fünfte Erwerbstätige hat heute an einer Universität, Fachhochschule oder Berufsakademie studiert. Denn, so die verbreitete Annahme: Akademikerinnen und Akademiker verdienen mehr Geld als Nicht-Akademiker.
Aber stimmt das wirklich? Nicht unbedingt. Am Ende ihres Erwerbslebens haben Akademiker und Personen mit einer abgeschlossenen Höheren Berufsbildung – also beispielsweise Meister, Fachwirte und Techniker – fast gleich viel verdient, nämlich rund 1,4 Millionen Euro brutto. Das belegt eine aktuelle Studie des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung an der Universität Tübingen (IAW), die im Auftrag des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK) erstellt wurde.
Lebenseinkommen unterscheiden sich nicht erheblich
In den Urlaub fahren, ein Auto kaufen, eine Immobilie erwerben oder eine Familie gründen - für Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung und anschließender Weiterbildung finanziell kein Problem. Während viele Akademiker noch ihren Studienkredit abbezahlen müssen und erst mit Mitte 20 anfangen zu arbeiten, verfügen beruflich Qualifizierte, die direkt nach der Schule ins Erwerbsleben eingestiegen sind, bereits über einen deutlichen finanziellen Vorsprung. Vielen Hochschulabsolventen gelingt es erst mit circa 60 Jahren, diese Lücke zu schließen.
Einstiegsgehälter von Akademikern variieren stark
In der Gruppe der Akademiker gibt es teils erhebliche Einkommensunterschiede: Erhält ein Ingenieur in Luft- und Raumfahrt ein durchschnittliches Einstiegsgehalt von circa 5.800 Euro brutto, so hat ein Architekt zu Beginn seines Arbeitslebens im Schnitt lediglich 3.000 Euro brutto auf dem Gehaltszettel. Absolventen der Sozialpädagogik oder der Geisteswissenschaften müssen beim Arbeitseinkommen meist noch größere Abstriche machen.
Ausgebildete Fachkräfte verdienen oft besser als gedacht
Demgegenüber ist das Einstiegsgehalt von ausgebildeten Fachkräften oft höher, als man vielleicht meint: Bankkaufleute können nach ihrer Berufsausbildung mit einem Gehalt von bis zu 3.400 Euro brutto rechnen. Ebenso sind Arbeitskräfte in der Industrie sehr gefragt: Ein ausgelernter Industriemechaniker wird mit bis zu 2.500 Euro brutto monatlich entlohnt. Mit einem Abschluss in der Höheren Berufsbildung, wie beispielsweise zum Industriemeister, werden sogar monatliche Einstiegsgehälter in Höhe von bis zu 4.400 Euro brutto erzielt – natürlich stets abhängig von Branche und Betriebsgröße. Das klassische Vorurteil, dass Akademiker grundsätzlich mehr verdienen als Nicht-Akademiker, stimmt also nur bedingt.
Direkter Einstieg ins Berufsleben oft lukrativer
Der gute Verdienst von Ärzten und Ingenieuren hebt den Gehaltsdurchschnitt bei den akademisch Qualifizierten an. Absolventen anderer Studiengänge rangieren teils deutlich darunter. Eine berufliche Ausbildung kann also lukrativer sein als ein jahrelanges Studium. Das gilt insbesondere dann, wenn Hochschulabsolventen dazu gezwungen sind, unterhalb ihres Qualifikationsniveaus ins Berufsleben einzusteigen.
Perspektivisch dürfte sich das Einkommensgefüge sogar insgesamt zu Gunsten der beruflich Gebildeten verschieben, wenn der Trend zur Akademisierung weiterhin anhält – und gleichzeitig in vielen Branchen immer mehr Fachkräfte mit einem beruflichen Bildungsweg fehlen.
Das lässt sich vor allem anhand von Berufen im Bereich der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik belegen: Im Herbst 2019 berechnete das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) eine MINT-Arbeitskräftelücke von insgesamt 263.000 Personen, die zu rund zwei Dritteln im Segment der beruflich Qualifizierten verortet ist. Sie setzt sich zusammen aus 122.900 Personen in MINT-Facharbeiterberufen sowie 48.600 im Bereich der Spezialisten-/Meister-/Technikerberufe. Ihr gegenüber steht eine deutlich kleinere akademische MINT-Arbeitskräftelücke von 91.500 Personen.
Vor allem beruflich qualifizierte Fachkräfte dringend gesucht
Auch gesamtwirtschaftlich betrachtet herrscht der größte Fachkräftemangel im Bereich der beruflich Qualifizierten, wie der aktuelle DIHK-Arbeitsmarktreport (PDF, 1 MB) von 2019 zeigt: Knapp ein Viertel aller Unternehmen sucht erfolglos nach Kandidaten mit dualer Berufsausbildung; Fachwirte und Meister sind in knapp jedem fünften aller Unternehmen besonders gefragt.
Vor dem Hintergrund, dass Erwerbstätige mit einem solchen Abschluss nur einen recht geringen Anteil an allen Erwerbstätigen ausmachen und die jährliche Absolventenzahl im Vergleich zu Ausbildung und Studium merklich geringer ist, dokumentiert dieser Wert eine erhebliche Engpasssituation. Demgegenüber findet nur ein gutes Sechstel der Betriebe keine Fachkräfte mit akademischem Abschluss.
Berufliche Weiterbildung schützt am besten vor Arbeitslosigkeit
Der Blick auf die Fachkräftesituation in den Unternehmen zeigt: Auch beim Thema Jobchancen und Arbeitsplatzsicherheit haben Hochschulabsolventen nicht unbedingt die besseren Karten.
Im Jahr 2018 lag die Arbeitslosenquote von Akademikern bei 2,1 Prozent. Bei Fachkräften, die sich zum Meister- oder Techniker weiterqualifiziert haben, betrug die Arbeitslosenquote im Vergleichszeitraum hingegen lediglich 1,2 Prozent – und sank zudem dabei gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 0,3 Prozentpunkte.
Bemerkenswert ist auch die mittelfristige Veränderung: Während die Arbeitslosenquote von beruflich Höherqualifizierten zu Beginn der 2000er Jahre mit 6,3 Prozent noch die der Akademiker deutlich (um 1,3 Prozentpunkte) überstieg, hat sich das Verhältnis inzwischen zugunsten der beruflich Qualifizierten gedreht. Das zeigt: Eine duale Ausbildung mit anschließender Weiterbildung schützt besser vor Arbeitslosigkeit als ein Studium.
Wie auch beim Einkommen gibt es beim Thema Arbeitslosigkeit von Akademikern große Unterschiede: Die Arbeitslosenquote für studierte Werbe- und Marketingspezialisten wurde zuletzt mit 4,5 Prozent angegeben – aber lediglich 1,3 Prozent der Absolventinnen und Absolventen in der Human- und Zahnmedizin finden keine Beschäftigung, was die Quote insgesamt wieder senkt.
Hinzu kommt: Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung und anschließender Weiterbildung sind nicht nur seltener arbeitslos, sie bekommen auch leichter einen unbefristeten Vertrag.
Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) lag der Befristungsanteil für Nicht-Akademiker mit einer abgeschlossenen dualen Ausbildung oder gleichwertigem Berufsfachschulabschluss bei 6,3 Prozent; für Absolventen einer Meister-/Technikerausbildung bei nur 5,3 Prozent.
Der Anteil der Akademiker (ohne Doktortitel) in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis rangierte indes mit 11 Prozent deutlich über diesen Werten.
Führungsverantwortung: Beruflich Qualifizierte geben häufig den Ton an
Für eine Beschäftigung mit Führungsverantwortung ist ein Hochschulabschluss keinesfalls Pflicht – im Gegenteil: Die Höhere Berufsbildung führt ihre Absolventen sogar häufiger in direkte Personalverantwortung: 47 Prozent der Fortbildungs-, aber nur 39 Prozent der Hochschulabsolventen bekleiden eine solche Position im Beruf.
Ebenso sind Meister oder Techniker gegenüber Kollegen öfter fachlich weisungsbefugt als Akademiker (80 versus 69 Prozent). Das heißt, gerade bei Fragen der konkreten betrieblichen Umsetzung geben beruflich Qualifizierte häufiger den Ton an als ihre Kollegen aus den Hochschulen. Sie finden die zugrundeliegene Studie, die das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln im Auftrag der DIHK-Bildungs-GmbH erstellt hat, hier zum Download:
Gute Karriereperspektiven auch für Meister, Techniker & Co.
Auch mit Blick auf ihre beruflichen Entwicklungschancen begegnen sich Meister oder Techniker aus der Weiterbildung und Bachelor-Absolventen von der Hochschule auf Augenhöhe: Insbesondere in Großunternehmen stehen beiden Absolventengruppen ähnlich vielfältige Möglichkeiten offen.
Fast neun von zehn Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern stufen die Karrierechancen der beiden Absolvententypen in kaufmännischen Berufsfeldern mindestens als "etwa gleich vielfältig" ein. Mehr noch: Fortbildungsabsolventen sind aus Sicht der Betriebe nicht so einfach durch Akademiker zu ersetzen: Unternehmenschefs schätzen Fortbildungsabsolventen als fachkundige Mitarbeiter, denen etwas öfter Tätigkeiten "exklusiv" vorbehalten sind als Akademikern.
Zu diesem Ergebnis kommt die von der DIHK-Bildungs-GmbH beauftragte IW-Köln-Studie