Pflicht zur Arbeitszeiterfassung: Was müssen Betriebe jetzt tun?

ZeiterfassungEine Stoppuhr wird nicht benötigt – an einer genauen Erfassung der Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten kommen Unternehmen trotzdem nicht mehr vorbei. Foto: Alextype - stock.adobe.com

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Unternehmen die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten verpflichtend erfassen müssen. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Worum geht es?
Bereits im Mai 2019 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) geurteilt, dass Arbeitgeber die Pflicht haben, ein Zeiterfassungssystem zur Messung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten einzuführen. In Deutschland wurde dennoch überwiegend davon ausgegangen, dass auch nach diesem EuGH-Urteil mangels genereller gesetzlicher Regelung noch keine allgemeine Verpflichtung für Arbeitgeber existiert, Arbeitzeiten zu erfassen.

Das hat sich nun geändert: Ende vergangenen Jahres hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem Beschluss dargelegt, dass bereits jetzt in Deutschland eine gesetzliche Verpflichtung für Arbeitgeber bestehe, ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Messung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeiten zu schaffen. Daraus ergeben sich für Arbeitgeber zahlreiche Fragen. Einige Antworten liefern die FAQ des Bundesministeriums für Arbeit:

Wie begründet das Bundesarbeitsgericht seinen Beschluss?
Das BAG leitet die Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit aus der europarechtskonformen Auslegung des § 3 Abs. 2 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) her. § 3 ArbSchG verpflichtet Arbeitgeber ganz allgemein, „für eine geeignete Organisation zu sorgen und erforderliche Mittel bereitzustellen“ zur Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit. Da die Einhaltung von Höchstarbeitszeiten Teil des Arbeitsschutzes ist und der EuGH in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2019 ausgeführt hatte, dass dazu auch die Zeiterfassung gehört, sieht das BAG hier eine bereits existierende Pflicht zur Erfassung von Arbeitszeiten.

Wird es noch eine konkrete gesetzliche Regelung geben?
Das Bundesministerium für Arbeit hat angekündigt, bis zum Ende des ersten Quartals 2023 einen praxistauglichen Vorschlag für eine Anpassung des Arbeitszeitgesetzes vorlegen zu wollen.

Kann ich die gesetzliche Regelung abwarten, bevor ich mich um die Zeiterfassung kümmere?
Das Bundesarbeitsgericht hat ausdrücklich erklärt, dass die Pflicht zur Zeiterfassung bereits jetzt besteht, auch ohne konkrete Regelung im Arbeitszeitgesetz. Arbeitgeber sollten sich somit zumindest grundlegende Gedanken zum Thema machen und sich über die Einführung eines Zeiterfassungsystems informieren, soweit noch keines besteht.

Allerdings: Es ist nicht auszuschließen, dass die noch ausstehende gesetzliche Regelung konkrete Vorgaben für die Form der Zeiterfassung machen wird. Es dürfte daher sinnvoll sein, zunächst noch abzuwarten, bevor etwa größere Investitionen in elektronische Systeme oder Ähnliches getätigt werden.

Wer kontrolliert, ob Arbeitgeber ihrer Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nachkommen?
Für die Kontrolle der Einhaltung von Verpflichtungen aus dem Arbeitszeitgesetz sind die Gewerbeaufsichtsämter zuständig.

Drohen Bußgelder, wenn Arbeitgeber Arbeitszeiten nicht (richtig) erfassen?
Zumindest nicht unmittelbar. Das BAG leitet die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung aus der Allgemeinklausel des § 3 ArbSchG ab. Verstöße gegen § 3 ArbSchG sind aber zunächst nicht bußgeldbewehrt. Wenn das Gewerbeaufsichtsamt einen Verstoß feststellt, dann kann nach § 22 ArbSchG eine konkrete Anordnung getroffen werden, wie den Verpflichtungen zum Arbeitsschutz nachzukommen ist. Erst wenn ein Arbeitgeber einer solchen Anordnung nicht innerhalb einer gesetzten Frist nachkommt, kommt ein Bußgeld in Betracht.

Was genau muss erfasst werden?
Erfasst werden müssen Beginn, Dauer und Ende der täglichen Arbeitszeit. Dabei geht es um die tatsächlich geleistete Arbeitszeit. Ein Schichtplan oder Ähnliches dürfte somit nicht ausreichen, da er lediglich die Planung, nicht aber die tatsächlich erbrachte Arbeitszeit erfasst. Auch Pausen sind nach ihrer tatsächlichen Dauer zu erfassen. Denn nur so kann der Schutzzweck der Regelung erreicht und damit die tatsächliche Einhaltung von Höchstarbeitszeiten sichergestellt werden.

Wie muss die Arbeitszeit erfasst werden?
Der BAG-Beschluss enthält keine Vorgaben zur konkreten Form der Aufzeichnung. In den richterlichen Orientierungssätzen zur Entscheidung wird betont, dass es sich nicht zwingend um eine automatisierte, elektronische Zeiterfassung handeln muss. Auch die Erfassung etwa in einer Excel-Tabelle oder Aufzeichnungen in Papierform könnten genügen. Außerdem kann die Aufzeichnung der Zeiten an die Arbeitnehmer delegiert werden.

Die Arbeitszeiten müssen aber so erfasst werden, dass die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten auch nachvollzogen werden können. Zudem muss das System nicht nur angeboten, sondern auch tatsächlich genutzt werden. Arbeitgeber können ihren Beschäftigten also nicht freistellen, ob sie das Zeiterfassungssystem nutzen oder nicht.

Was ist mit Vertrauensarbeitszeit?
Ob Vertrauensarbeitszeit nach dem BAG-Beschluss weiterhin möglich ist, hängt letztlich davon ab, was man genau unter dem Begriff versteht: Wenn gemeint ist, dass keinerlei arbeitgeberseitige Vorgaben zur Arbeitszeit gemacht werden, die Beschäftigten zu beliebigen Zeiten (eventuell auch über Höchstarbeitszeiten hinaus) arbeiten und keine Zeitaufzeichnungen geführt werden, ist Vertrauensarbeitszeit in dieser Form nicht mehr möglich. Eine solche Gestaltung war aber auch schon vor der BAG-Entscheidung problematisch.

Ist mit Vertrauensarbeitszeit allerdings nur gemeint, dass der Arbeitgeber keine konkreten Vorgaben zu Beginn und Ende der Arbeitszeiten macht und der Arbeitnehmer die zeitliche Lage und Dauer seiner Arbeit (innerhalb der Grenzen des Arbeitszeitgesetzes) selbst bestimmt, ist dies weiterhin denkbar. Es besteht aber die Pflicht, die tatsächlich geleistete Arbeitszeit zu erfassen. Diese Aufgabe kann auch an die Arbeitnehmer delegiert werden. In diesem Sinne ist Vertrauensarbeitszeit weiterhin möglich.

Was ist mit leitenden Angestellten?
Eine Zeiterfassungspflicht für leitende Angestellte im Sinne des § 5 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) lässt sich dem BAG-Beschluss nicht entnehmen. Da es in der BAG-Entscheidung um die Reichweite von Initiativrechten des Betriebsrates ging, konnten hier ohnehin leitende Angestellte im Sinne des Betriebsverfassungsrechtes nicht erfasst sein, da diese auch nicht vom Betriebsrat vertreten werden. Darüber hinaus ist auch das Arbeitszeitgesetz mit den dort geregelten Höchstarbeitszeiten auf leitende Angestellte nicht anwendbar.

Wichtig: Die Ausnahme von der Zeiterfassungspflicht für leitende Angestellte betrifft derzeit nur leitende Angestellte im Sinne von § 5 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Hier bestehen allerdings hohe Anforderungen: Nicht jeder Arbeitnehmer mit einer Leitungsfunktion ist auch leitender Angestellter gemäß § 5 Abs. 3 BetrVG. Kennzeichen für leitende Angestellte nach § 5 Abs. 3 BetrVG ist insbesondere, dass sie zur selbstständigen Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind. Das ist faktisch nur bei sehr wenigen Arbeitnehmern der Fall. /

Dr. Jens Jasper

Dr. Jens Jasper

Recht und Steuern,
IHK-Zentrale
Position: Bereichsleiter
Schwerpunkte: Wirtschaftsrecht, Arbeitsrecht, außergerichtliche Streitbeilegung, Sachverständigenwesen, Steuern, IHK-Gremium Kreis Tübingen: Geschäftsführung, Koordination Hoheitliche Aufgaben
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