Neuerungen im Patentrecht: Jetzt schon vorbereiten

IHK Reutlingen, Tübingen und ZollernalbFoto: eamesBot/shutterstock.com

Einheitspatent und Einheitliches Patentgericht: Das Patentsystem in Europa steht vor einschneidenden Veränderungen. Ein Überblick.

Im Hintergrund sind die Vorbereitungen für die Umgestaltung des Europäischen Patentsystems bereits in vollem Gange. Ausgangspunkt ist das europäische „Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht“ (EPGÜ). Seine beiden Eckpfeiler sollen spätestens Anfang kommenden Jahres an den Start gehen: ein neues Patent, das Einheitspatent, sowie ein neues Einheitliches Patentgericht, das für die neuen Einheitspatente und auch für „klassische“ Europäische Patente (EP) zuständig sein wird.

Was ist ein „Einheitspatent“?
Ein Einheitspatent (korrekt: „europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung“) ist ein vom Europäischen Patentamt mit Wirkung für alle teilnehmenden Mitgliedsstaaten erteiltes Patent, über das in späteren Auseinandersetzungen in einem einzigen Gerichtsverfahren für alle diese Staaten eine gemeinsame einheitliche Gerichtsentscheidung getroffen werden kann (etwa Patentverletzung oder -nichtigkeit).

Wie erhält man ein Einheitspatent?
Das Einheitspatent steht als neue zusätzliche Option der Validierung einer „klassischen“ europäischen Patentanmeldung beim Europäischen Patentamt zur Verfügung.

Mit welchem Aufwand und welchen Kosten ist zu rechnen?
Der Verwaltungsaufwand wird kleiner werden, da mit der genannten Validierung 17 EU-Staaten gemeinsam erfasst werden. Die Gebühren entsprechen etwa den Gebühren, die bisher für 4–5 Benennungen notwendig waren.

Was sind die Vor- und Nachteile?
Die Kostenvorteile gegenüber dem bisherigen Vorgehen hängen vom individuellen Anmeldeverhalten ab. Bei Auseinandersetzungen gilt: „ganz oder gar nicht“. Das kann ein Vorteil sein, wenn es um die Durchsetzung des Patents gegen einen in ganz Europa tätigen Wettbewerber geht. Es kann aber auch ein Nachteil sein – nämlich dann, wenn das Patent angegriffen und gleichzeitig in allen 17 teilnehmenden Staaten für nichtig erklärt wird.

Was gilt es zu bedenken?
Die Landkarte des Einheitspatents hat viele Lücken. Zunächst sind lediglich die folgenden 17 EU-Staaten dabei: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Österreich, Portugal, Slowenien, Schweden. Weitere Länder werden jedoch dazukommen. Mit Sicherheit nicht dabei beim einheitlichen Patentsystem sind Spanien, Kroatien und Polen sowie Nicht-EU-Länder wie die Schweiz, Großbritannien, die Türkei oder Norwegen.

Was kann vorbereitet werden?
Ob Einheitspatente strategische Vorteile oder geringere Kosten für ein Unternehmen bedeuten, hängt von vielen Faktoren ab. Patentanmelder sollten Vor- und Nachteile sorgfältig abwägen. Für laufende EP-Anmeldungen kann der Antrag auf einheitliche Wirkung prinzipiell bereits jetzt vorbereitet werden.

Worum geht es beim Einheitlichen Patengericht?
Das Einheitliche Patentgericht („EPG“, englisch: „UPC“) ist ein neu errichtetes Gericht, das unter anderem für Fragen der Verletzung und der Rechtsgültigkeit von Einheitspatenten und auch klassischen Europäischen Patenten zuständig ist (sofern für Letztere kein Opt-out erklärt wird). Die Urteile gelten in allen Mitgliedstaaten, die das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht ratifiziert haben. Das EPG ist damit in den teilnehmenden Mitgliedsstaaten Ansprechpartner für Patentstreitigkeiten über Einheitspatente und bestehende Europäische Patente.

Kann man als Inhaber eines EP-Patents die Zuständigkeit dieses neuen Gerichts ausschließen?
Ja, der Anmelder kann dazu beim EPG einen Opt-out-Antrag stellen. Dann bleiben die nationalen Gerichte zuständig. Dieser Antrag ist nur möglich, solange kein Patentstreitverfahren vor dem EPG anhängig ist. Bevor das Übereinkommen in Kraft tritt, gibt es eine „Sunrise Period“, während der ein Patentinhaber beim EPG bereits einen Opt-out-Antrag für seine bestehenden EP-Patente oder -Anmeldungen stellen kann. Damit kann er sicherstellen, dass ihm kein Wettbewerber mit einer Klage vor dem EPG zuvorkommt und ein Opt-out verhindert. Der Opt-out-Antrag kann einmal rückgängig gemacht werden (Opt-in) – sofern kein nationales Patentstreitverfahren anhängig ist. Ein zweiter „Opt-out“ ist dann allerdings nicht mehr möglich.

Welche Vor- und Nachteile hat ein Opt-out?
Wurde eine Opt-out-Erklärung abgegeben, entscheiden die nationalen Gerichte – wie bisher – einzeln über Verletzung und Nichtigkeit. Wird keine Opt-out-Erklärung abgegeben, entscheidet das EPG mit Wirkung für alle teilnehmenden Mitgliedsstaaten.

Wer muss jetzt aktiv werden?
Wer validierte EP-Patente oder EP-Patentanmeldungen im Patentportfolio hält, sollte sich mit seinem Patentanwalt unbedingt beraten, ob ein Opt-out bereits vor dem Inkrafttreten des EPGÜ sinnvoll ist. Besonders wichtig ist das, wenn der Angriff eines Wettbewerbers auf ein wichtiges Schutzrecht zu befürchten ist.

(Text: Annegret Schmid, Patentcoach BW)

Patentanmeldung fördern lassen
Die EU-Kommission fördert Marken-, Patent- und Designanmeldungen von KMUs mit einem Zuschuss von bis zu 2.250 Euro. Die Förderung läuft bis Ende 2022. Der Antrag kann beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EU IPO) gestellt werden. Mehr Informationen zu den Fördervoraussetzungen und zur Antragsstellung gibt es hier.

Dr. Tobias Adamczyk

Dr. Tobias Adamczyk

Innovation und Umwelt
IHK-Zentrale
Position: Technologietransfermanager
Schwerpunkte: Technologietransfer, Kooperationen, Wirtschaft und Wissenschaft, Fördermittelberatung, Patente, TRIZ, Koordinierung der landesweiten TechnologietransfermanagerInnen (EFRE), IHK-Netzwerk Innovation, IHK-Netzwerk virtuelles Kraftwerk Neckar-Alb, Netzwerk Technologietransfermanager-BW, IHK-Netzwerk Wasserstoff, Institut für Wissensmanagement und Wissenstransfer (IHK-IWW)
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