Sucht im Betrieb - Was Chefs tun können

IHK Reutlingen, Tübingen und ZollernalbFoto: stevecuk - stock.adobe.com

Sucht am Arbeitsplatz − ein wirklich heikles Thema. Auch, weil vielen Chefinnen und Chefs das Problem klar ist, aber nicht wissen, wie sie betroffene Mitarbeiter ansprechen sollen. Suchtberater Hartmut Nicklau vom Diakonieverband Reutlingen erklärt, wie’s geht.

Woran zeigt sich süchtiges Verhalten von Mitarbeitern im Betrieb?

Hartmut Nicklau: Da gibt es einen ganzen Kriterienkatalog. Die offensichtliche Alkoholfahne alleine muss es nicht immer sein, aber oft der Verdacht, dass Alkohol im Spiel sein könnte. Im Nachhinein abgegoltene Urlaubstage bei Fehlzeiten, aggressives Verhalten ohne Grund, Leistungsabfall, Fahrigkeit, Unpünktlichkeit, vergessene Termine bis hin zu einem ungepflegten Äußeren oder gar Verwahrlosung sind Zeichen von Alkoholsucht. Besonders bei Frauen kann aber auch das Gegenteil eintreten: Sie schminken sich übermäßig und achten sehr auf ihre Erscheinung.
 
Wie sieht es bei anderen Süchten aus?
Die Alkoholsucht ist nicht immer einfach zu erkennen, bei Glückspielsucht oder Online-Gaming-Sucht, den sogenannten stoffungebundenen Süchten, ist es bisweilen noch schwieriger. Beim Spieler ist es so: Er ist der größte Trickser aller Zeiten, er versucht der Größte zu sein. Wenn er dann aber verliert und ein größerer Geldverlust eintritt, ist er eher depressiv und verkriecht sich. Hier kann man ihn kriegen: Wenn er sich wieder hochrappelt, pumpt er Freunde und Kollegen an – oder verlangt einen Vorschuss beim Chef. Weitere Anzeichen sind, wie bei allen Süchten: Unkonzentriertheit, Stimmungsschwankungen, Fahrigkeit und Leistungsabfall. Spannend ist, dass das Umfeld häufig denkt, dass ein Burn-out dahinter steckt. In Wahrheit ist es aber eine Sucht. In der Regel ist der Verdacht oft schnell geschöpft, es kommt eher darauf an, als Vorgesetzter frühzeitig und konstruktiv zu handeln.

Was ist der erste Schritt?
Bei allen im Umfeld spielt eine gewisse Ambivalenz eine Rolle: Ich möchte der Person helfen, habe aber Angst vor negativen Konsequenzen – oder schlicht keine Lust auf den entstehenden Stress. Trotzdem: Der Vorgesetzte sollte den Betroffenen genau beobachten und das kostet Zeit. Bei Sucht in jeglicher Form geht es darum, dass der Chef zuerst genau beobachtet und Veränderungen und Auffälligkeiten notiert. Vorgesetzte müssen Stimmungen raushören: Was ist los in meiner Abteilung und vor allem mit dem betroffenen Mitarbeiter?  

Wo liegen die Hürden?
Gerade beim Alkohol gibt es auch eine große gesellschaftliche Akzeptanz – jeder trinkt mal was. Schwierig ist auch, dass Kollegen den Betroffenen oft decken, wenn sie ihm beispielsweise Geld geliehen oder auch mal ein Gläschen mitgetrunken haben. Viele Chefs sind daher gehemmt, das Problem anzusprechen und ignorieren es, solange der Trinker unauffällig trinkt und seine Arbeit halbwegs ordentlich erledigt – bis sich die Sucht nicht mehr verbergen lässt. Man spricht hier auch von Co-Verhalten bei Vorgesetzten und Kollegen.

Gibt es in solchen Fällen nicht eine gesetzliche Fürsorgepflicht?
Doch, sicher, nach Paragraf 38 der Unfallverhütungsvorschriften bin ich als Arbeitgeber im Rahmen der Arbeitssicherheit verpflichtet, bei Verdacht auf Alkoholmissbrauch einzugreifen. Da geht es einfach um die Sicherheit der Mitarbeiter, die etwa Auto fahren müssen oder an Maschinen arbeiten.

Wie kann ein erstes Gespräch aussehen?
Gute Vorbereitung ist wichtig. Man sollte die Punkte genau benennen können, was wann und wo im Detail im Arbeits- und Leistungsverhalten, aber auch im Sozialverhalten aufgefallen ist. Eine ungestörte Atmosphäre ist dabei wichtig. Der Chef sollte Wertschätzung entgegenbringen, reine Konfrontation bringt nichts. Ich empfehle immer,  authentisch zu bleiben und Wertschätzung nicht vorzutäuschen und natürlich ein auffälliges Alkoholtrinkverhalten ansprechen.

Sollte man gleich mit Konsequenzen drohen?
Das ist sogar wichtig. Erst sollte das positive Arbeitsverhalten, dass sicher einmal vorhanden war, gewürdigt werden, dann auf die zunehmenden Auffälligkeiten im Arbeitsverhalten eingegangen werden, dann auf die  Hilfsangebote und schließlich auf die Konsequenzen, die im Rahmen der Betriebsvereinbarung folgen, wenn der Betroffene keine Hilfe annehmen möchte. Es sollte klar kommuniziert werden, dass erwartet wird, dass der Mitarbeiter eine Suchtberatungsstelle aufsucht und darüber einen Nachweis bringt. Zudem kann erwartet werden, dass keine weiteren Auffälligkeiten wie Fehltage mehr auftreten.

Und wenn das nichts bringt?
Wir empfehlen immer ein stufenweises Vorgehen. Nach einem ersten Gespräch wird ein zweites angeboten. Dieses Mal aber in einer größeren Runde: Die Personalabteilung, der Vorgesetzte, der Suchtbeauftragte und der Betriebsrat sollten nun dabei sein. Der Arbeitgeber sollte klar machen, dass nun auch eine schriftliche Abmahnung folgen kann, an deren Ende die Kündigung steht, wenn der Betroffene die Hilfsangebote weiterhin ablehnt.

Kann ein Alkoholkranker wieder ein guter Mitarbeiter werden?
Ja, natürlich. Die meisten, die durch eine Rehabilitationsbehandlung abstinent werden, bedanken sich beim Chef. Der Suchtkranke braucht Leidensdruck, um sich in eine Suchtberatung zu begeben. Die Befriedigung durch das Suchtmittel ist stärker als alles andere. Daher tut man meistens ein gutes Werk an einem Menschen, wenn man sich hier einsetzt. Das Loslassen vom Suchtmittel ist extrem schwierig. Wem es gelingt, kommt gestärkt mit neuem Selbstbewusstsein wieder, das zeigt sich auch in der Leistung bei der Arbeit.

Kostenfreie Suchtberatung des Diakonieverbands
Die Suchtberatung des Diakonieverbands berät Betroffene sowie Betriebe, die Fragen zu süchtigen Mitarbeitern haben. In Seminaren geben die Experten Vorgesetzten das Rüstzeug an die Hand, um Sucht zu erkennen und zu handeln. Mehr unter www.diakonie-reutlingen.de/angebote sowie psb@kirche-reutlingen.de oder 07121 948615.

Detlef Werneck

Detlef Werneck

Zentrale Dienste und Kundenmanagement,
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Position: Leiter Zentrale Dienste und Kundenmanagement
Schwerpunkte: Finanzen, Personal, Organisation
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