Das chinesische Sozialkreditsystem
Das chinesische Sozialkreditsystem, das vor wenigen Jahren hohe Wellen geschlagen hatte, ist in letzter Zeit wieder etwas aus dem Fokus der Schlagzeilen geraten. Das liegt zum einen an der Corona-Pandemie, zum anderen womöglich aber auch daran, dass die an die Wand gemalte Dystopie eines Staates, der das Verhalten seiner Bürger umfassend über einen Punktestand steuert, bislang schlicht nicht eingetreten ist. Bekanntermaßen ist das chinesische Sozialkreditsystem umstritten, gerade auch in der Wirtschaft. Insbesondere befürchten viele Unternehmen Nachteile durch das vorgesehene System „roter“ und „schwarzer“ Listen. Dennoch ist das Thema für deutsche Unternehmen, die im Chinageschäft tätig sind oder chinesische Geschäftspartner haben, von hoher Relevanz.
Was ist das Sozialkreditsystem?
Das Sozialkreditsystem ist ein vielschichtiger Begriff. Politischer Ausgangspunkt ist das Motiv der chinesischen Regierung, Wildwüchse der neu entstandenen Marktwirtschaft zu bekämpfen. Banken, Unternehmen und Bürgern will man daher erstmals ein Instrument an die Hand geben, um die Kreditwürdigkeit von Geschäftspartnern beurteilen zu können. Gleichzeitig will die Regierung Gesetze besser durchsetzen und „ehrliches Verhalten“ dadurch fördern, dass Rechtsverletzungen spürbarere Konsequenzen haben sollen. Während also eine gewisse Ähnlichkeit etwa mit der deutschen Schufa erkennbar ist, geht die Bedeutung des Sozialkreditsystems durch seinen Compliance-Schwerpunkt weit über die einer Wirtschaftsauskunftei hinaus.
Kern des Systems sind „rote“ und „schwarze“ Listen in verschiedenen Verwaltungsbereichen wie etwa Steuern, Umweltschutz oder der Vollstreckung von Gerichtsurteilen. Unternehmen, die stets pünktlich ihre Steuern zahlen, werden – bildlich – in eine rote Liste eingetragen; wer seine Steuern nicht zahlt, kommt auf eine schwarze Liste. Während Einträge in roten Listen zu Vergünstigungen in anderen Verwaltungsbereichen führen sollen, soll ein Eintrag in einer schwarzen Liste Einschränkungen auf allen möglichen Ebenen zur Folge haben. Ein schlechtes „Steuer-Rating“ führt dann beispielsweise dazu, dass bestimmte Genehmigungen nicht mehr erteilt werden. Und wer ein rechtskräftiges Zivilurteil grundlos nicht erfüllt, darf unter anderem kein Flugticket mehr kaufen – bei Unternehmen gilt das auch für den vertretungsbefugten „gesetzlichen Vertreter“!
Auf den unteren Verwaltungsebenen gibt es weitere Regelungen, die teilweise auch Sozialpunktestände vorsehen. Die Verhaltenssteuerung innerhalb des Rahmens des gesetzlich Erlaubten – also etwa das persönliche Kaufverhalten – spielt dabei allerdings im Grundsatz keine Rolle. Anders ist das bei privat vergebenen Social Credit Scores wie „Sesame Credit“ von Alibaba, die man allerdings nicht mit dem staatlichen System in einen Topf werfen darf. Das Sozialkreditsystem ist derzeit noch im Aufbau begriffen; Weiterentwicklungen sind also im Auge zu behalten.
Wie können deutsche Unternehmen das Sozialkreditsystem für sich nutzen?
Für deutsche Unternehmen ist vor allem interessant, dass die Informationen aus den verschiedenen roten und vor allem schwarzen Listen im Internet veröffentlicht werden. Einfachster Zugangspunkt – aber allein in chinesischer Sprache verfügbar – ist die Website creditchina.gov.cn. Hier kann für jedes chinesische Unternehmen schnell und kostenlos nachgeprüft werden, ob Einträge auf roten oder schwarzen Listen vorhanden sind.
Im „National Enterprise Credit Information Publicity System“ (http://www.gsxt.gov.cn/index.html) lassen sich darüber hinaus weitere Unternehmensdaten von Geschäftspartnern per Mausklick prüfen. Abrufbar sind zunächst gewöhnliche Handelsregisterdaten wie Gründungsgeschichte, Vertretungsbefugnisse, Gesellschafterverhältnisse und so weiter, aber auch eine ganze Reihe weiterer Informationen, wie etwa die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Angestellten, Registerpfandrechte, Rechte des geistigen Eigentums, Verwaltungsstrafen et cetera. Der Zugriff (allein in chinesischer Sprache) ist ebenfalls kostenlos. Bei potenziellen (oder bestehenden) chinesischen Geschäftspartnern kann auf diese Weise mit relativ geringem Aufwand ein erster Background Check durchgeführt werden.
Was müssen in China tätige Unternehmen beachten?
Deutsche Unternehmen, die in China keine eigene Präsenz haben, sind – jedenfalls derzeit – grundsätzlich nicht Teil des Sozialkreditsystems. Allerdings gibt es Ausnahmen: So besteht etwa ein Risiko, dass auch deutsche Unternehmen, die chinesische Urteile nicht erfüllen, auf eine schwarze Liste gesetzt werden. Geschäftsführer der deutschen Gesellschaft können dann potenziell in China persönlichen Konsequenzen ausgesetzt sein. Es empfiehlt sich, vorher Rechtsrat einzuholen.
Chinesische Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen sollten periodisch einen eigenen Background Check auf den genannten Websites durchführen, um unangenehme Überraschungen zu vermeiden. Im Falle eines Listeneintrags kann und sollte versucht werden, diesen wieder zu entfernen. Besondere Vorsicht ist angesichts möglicher persönlicher Konsequenzen für den „gesetzlichen Vertreter“ der Tochtergesellschaft geboten. Da es bei den schwarzen Listen im Grunde um die Einhaltung von Rechtsnormen geht, sollte das Thema Compliance generell verstärkt in den Blick genommen werden.
Dr. Nils Pelzer, Rechtsanwalt, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart