Arbeitnehmerentsendung ins ‎Ausland

Wo ist die erste Tätigkeitsstätte?

Erste Tätigkeitsstätte bei Entsendung ins Ausland ist die ortsfeste betriebliche Einrichtung des aufnehmenden Unternehmens, der der Arbeitnehmer im Rahmen eines eigenständigen Arbeitsvertrags mit dem aufnehmenden Unternehmen für die Dauer der Entsendung zugeordnet ist.

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Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einem Ende April veröffentlichten Urteil vom 17. ‎Dezember 2020 entschieden (Aktenzeichen VI R 21/18): Eine erste Tätigkeitsstätte bei ‎Entsendung ins Ausland liegt bei der ortsfesten betrieblichen Einrichtung des ‎aufnehmenden Unternehmens vor, der der Arbeitnehmer im Rahmen eines ‎eigenständigen Arbeitsvertrags mit dem aufnehmenden Unternehmen für die Dauer ‎der Entsendung zugeordnet ist.‎

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde: ‎
Der Arbeitnehmer war im Management bei VW in Wolfsburg (Heimatgesellschaft) ‎angestellt. In 2013 schloss er mit der Heimatgesellschaft einen Entsendevertrag, nach ‎dem er für drei Jahre eine Tätigkeit bei VW USA (Gastgesellschaft) übernehmen wird. ‎Das Arbeitsverhältnis mit der Heimatgesellschaft wurde für diese Zeit "ruhend gestellt". ‎Der Entsendevertrag sah vor, dass der Arbeitnehmer mit der Gastgesellschaft einen ‎lokalen Arbeitsvertrag schließt. Am Arbeitsplatz unterlag er den Regeln der ‎Gastgesellschaft. Nach dem lokalen Arbeitsvertrag erhielt der Arbeitnehmer ‎Zuschüsse für die Wohnungskosten in den USA, für Heimflüge (Flugbudget) und für ‎Möbelmiete. Der Arbeitnehmer trat die Stelle in den USA im Sommer 2013 an. Seine ‎Ehefrau begleitete ihn dabei. Die Wohnung in Deutschland behielten sie bei.‎

Das Finanzamt ging im Rahmen der privaten Einkommensteuererklärung davon aus, ‎dass der Arbeitslohn des Arbeitnehmers aus den USA in voller Höhe in die ‎Berechnung des Steuersatzes nach dem sog. Progressionsvorbehalt (§ 32b EStG) ‎einzubeziehen sei. Die erste Tätigkeitsstätte des Arbeitnehmers habe sich in den USA ‎befunden, so dass keine auswärtige Tätigkeit vorliege. Dorthin habe sich auch der ‎Lebensmittelpunkt der Eheleute verlagert. Der Arbeitslohn könne nicht um die ‎Zuschüsse gemindert werden. Werbungskosten für eine doppelte Haushaltsführung ‎wurden nicht anerkannt.‎

Das Finanzgericht gab dem Finanzamt Recht. Die Richter des BFH bestätigten diese ‎Entscheidung.‎

Die Aufwendungen des Arbeitnehmers für Wohnung und Flüge sind nicht als ‎Werbungskosten abziehbar. Denn seine erste Tätigkeitsstätte befand sich im Streitjahr ‎im Werk der Gastgesellschaft in den USA. Dementsprechend war der Arbeitnehmer in ‎den USA nicht auswärtig tätig. Somit sind keine abziehbaren Reisekosten entstanden ‎und der Arbeitslohn ist nicht um steuerfreie Werbungskostenerstattungen zu mindern. ‎

Die Einnahmen des Arbeitnehmers aus seiner Tätigkeit in den USA konnten nicht in ‎Deutschland, sondern nur in den USA besteuert werden. Sie unterlagen jedoch dem ‎sog. Progressionsvorbehalt. Wegen der ersten Tätigkeitsstätte in den USA liegen keine ‎als Werbungskosten abziehbaren Reisekosten vor.‎

Erste Tätigkeitsstätte ist nach § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche ‎Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom ‎Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Diese ‎Voraussetzungen sind, so die Richter des BFH, bei dem Werk der Gastgesellschaft in ‎den USA erfüllt:‎

Das Werk ist eine ortsfeste Einrichtung. Es liegt eine Einrichtung des Arbeitgebers des ‎Arbeitnehmers vor. Er war mit der Gastgesellschaft ein (befristetes) Arbeitsverhältnis ‎eingegangen und in den Betrieb der Gastgesellschaft eingegliedert. Er erbrachte ihr ‎gegenüber Arbeitsleistungen und bezog von ihr Arbeitslohn.‎

Der Arbeitnehmer war aufgrund des mit der Gastgesellschaft vereinbarten lokalen ‎Arbeitsvertrags deren Werk zugeordnet, so die Richter weiter. Die Zuordnung erfolgte ‎dauerhaft. Sie sollte für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses Bestand haben (§ ‎‎9 Abs. 4 Satz 3 EStG). Das ursprüngliche Arbeitsverhältnis mit der Heimatgesellschaft ‎war ruhend gestellt. Daraus ergaben sich keine arbeitsrechtlichen Weisungen in ‎Bezug auf eine erste Tätigkeitsstätte mehr. Die Arbeitgeberstellung der ‎Heimatgesellschaft war nach Ansicht der Richter nur subsidiär.‎

Hinweis:‎
In zwei weiteren Entscheidungen vom gleichen Tag hat der BFH inhaltsgleich ‎entschieden ( Az. VI R 22/18 und Az. VI R 23/18). Die früher vertretene Auffassung, im ‎Werk der ausländischen (Tochter-)Gesellschaft werde keine regelmäßige Arbeitsstätte ‎unterhalten, ist durch die Definition der ersten Tätigkeitsstätte in § 9 Abs. 4 EStG ‎seit 2014 überholt.‎

Die Richter verneinten auch eine doppelte Haushaltsführung. Wegen Verlegung des ‎Lebensmittelpunkts in die USA wurde in Deutschland kein Hausstand mehr ‎unterhalten und es bestand somit keine doppelte Haushaltsführung. Daran änderte ‎sich auch nichts, wenn der Haushalt in Deutschland beibehalten wurde.‎

Hinweis: ‎
Wird ein Arbeitnehmer bei grenzüberschreitender Arbeitnehmerentsendung zwischen ‎verbundenen Unternehmen ohne Abschluss eines eigenständigen Arbeitsvertrags mit ‎dem aufnehmenden Unternehmen in einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung ‎dieses Unternehmens tätig, ist die erste Tätigkeitsstätte beim aufnehmenden ‎Unternehmen nur dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer von seinem ‎Arbeitgeber gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG dauerhaft (d. h. unbefristet, für die Dauer ‎des gesamten – befristeten oder unbefristeten – Dienstverhältnisses oder über einen ‎Zeitraum von 48 Monaten hinaus) ins Ausland entsandt wird. Sämtliche nicht ‎dauerhaft ausgeübten Entsendungen wären dann als Auswärtstätigkeit einzustufen.‎

Aber auch bei Abschluss eines eigenständigen Arbeitsvertrags mit dem ‎aufnehmenden Unternehmen im Ausland ist eine Auswärtstätigkeit nicht unmöglich. ‎Das aufnehmende Unternehmen kann den z. B. an den Hauptsitz entsandten ‎Arbeitnehmer während seines Auslandseinsatzes nach Maßgabe des neuen ‎Reisekostenrechts selbst auswärts z. B. an einem anderem Ort einsetzen. Denn auch ‎insoweit sind die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen (bzw. die dienst- oder ‎arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und ‎Weisungen) zwischen aufnehmendem Unternehmen und entsandtem Arbeitnehmer ‎maßgeblich.‎

Dr. Jens Jasper

Dr. Jens Jasper

Recht und Steuern,
IHK-Zentrale
Position: Bereichsleiter
Schwerpunkte: Wirtschaftsrecht, Arbeitsrecht, außergerichtliche Streitbeilegung, Sachverständigenwesen, Steuern, IHK-Gremium Kreis Tübingen: Geschäftsführung, Koordination Hoheitliche Aufgaben
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