Pflicht zur Arbeitszeiterfassung

Was müssen Unternehmen jetzt tun?

Unternehmen müssen künftig die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten erfassen. Das gilt auch ohne die bislang erfolgte Anspassung des Arbeitszeitgesetzes.

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Bereits im Mai 2019 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) geurteilt, dass aus der Europäischen Grundrechtecharta die Pflicht für Arbeitgeber folgt, ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Messung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeiten einzuführen.

In Deutschland wurde überwiegend davon ausgegangen, dass auch nach diesem EuGH-Urteil mangels genereller gesetzlicher Regelung noch keine allgemeine Verpflichtung für Arbeitgeber existierte, Arbeitzeiten zu erfassen. Lediglich für einzelne Arbeitnehmergruppen oder bestimmte Konstellationen, wie Überstunden, lagen bereits ausdrückliche gesetzliche Erfassungspflichten vor. Nach überwiegender Auffassung hätte eine allgemeine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung zunächst durch den nationalen Gesetzgeber umgesetzt werden müssen, was bisher nicht geschehen ist.

Für viele überraschend hat jedoch das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem Beschluss aus dem September 2022 mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass bereits eine gesetzliche Verpflichtung für Arbeitgeber bestehe, ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Messung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeiten zu schaffen. Das BAG hat diese Verpflichtung aus einer europarechtskonformen Auslegung von § 3 Abs. 2 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) hergeleitet.

Im Anschluss an die BAG-Entscheidung haben sich für viele Arbeitgeber zahlreiche Fragen ergeben. Die wichtigsten Fragen beantworten die FAQ des Bundesministeriums für Arbeit.

Was ist die Kernaussage des BAG-Beschlusses?
Die zentrale Aussage ist: Bereits heute sind Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, mittels eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems die von den Arbeitnehmern tatsächlich geleistete Arbeitszeit zu messen.

Wie begründet das BAG diese Aussage?
Das BAG leitet die Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit aus der europarechtskonformen Auslegung des § 3 Abs. 2 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) her. § 3 ArbSchG verpflichtet Arbeitgeber ganz allgemein, "für eine geeignete Organisation zu sorgen und erforderliche Mittel bereitzustellen" zur Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit. Da die Einhaltung von Höchstarbeitszeiten zum Arbeitsschutz gehört und der EuGH in seiner Entscheidung aus 2019 ausgeführt hatte, dass zur Sicherstellung auch die Erfassung gehört, kommt das BAG zu einer bereits existierenden Pflicht zur Erfassung von Arbeitszeiten.

Wird es noch eine konkrete gesetzliche Regelung geben?
Das Bundesministerium für Arbeit hat angekündigt, im ersten Quartal 2023 einen praxistauglichen Vorschlag für eine Anpassung des Arbeitszeitgesetzes vorlegen zu wollen.

Kann ich die gesetzliche Regelung abwarten, bevor ich mich um die Zeiterfassung kümmere?
Das BAG hat ausdrücklich erklärt, dass die Pflicht zur Zeiterfassung bereits besteht, auch ohne konkrete Regelung im Arbeitszeitgesetz.

  • Arbeitgeber sollten sich somit zumindest grundlegende Gedanken machen und ein System einführen, soweit noch keines besteht.
  • Allerdings: Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ist laut BAG nicht an eine bestimmte Form gebunden. Es ist also zum Beispiel nicht erforderlich, ein elektronisches System einzuführen.
  • Jedoch ist nicht auszuschließen, dass die angekündigte gesetzliche Regelung Vorgaben für die Form machen wird.

IHK-Tipp
Es dürfte daher sinnvoll sein, die gesetzliche Regelung und ihre konkreten Anforderungen abzuwarten, bevor etwa größere Investitionen in elektronische Systeme oder ähnliches getätigt werden.

Wer kontrolliert, ob Arbeitgeber ihrer Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nachkommen?
Für die Kontrolle der Einhaltung von Verpflichtungen aus dem Arbeitszeitgesetz sind die Gewerbeaufsichtsämter zuständig.

Drohen Bußgelder, wenn Arbeitgeber Arbeitszeiten nicht oder nicht richtig erfassen?
Jedenfalls nicht unmittelbar. Das BAG leitet die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung aus der Allgemeinklausel des § 3 ArbSchG ab. Verstöße gegen § 3 ArbSchG sind aber zunächst nicht bußgeldbewehrt.

Wenn das Gewerbeaufsichtsamt einen Verstoß feststellt, dann kann nach § 22 ArbSchG eine konkrete Anordnung getroffen werden, wie den Verpflichtungen zum Arbeitsschutz nachzukommen ist. Erst wenn ein Arbeitgeber einer solchen Anordnung nicht innerhalb einer gesetzten Frist nachkommt, kommt ein Bußgeld in Betracht.

Was müssen Sie an Arbeitszeiten erfassen?
Erfasst werden müssen

  • Beginn
  • Dauer
  • Ende

der täglichen Arbeitszeit. Dabei geht es um die tatsächlich geleistete Arbeitszeit. Ein Schichtplan oder ähnliches dürfte somit nicht ausreichen, da er lediglich die Planung, nicht aber die tatsächlich erbrachte Arbeitszeit erfasst.

Auch

  • Pausen

sind nach ihrer tatsächlichen Dauer zu erfassen. Denn nur so kann der Schutzzweck der Regelung erreicht werden, dass die tatsächliche Einhaltung von Höchstarbeitszeiten sichergestellt wird.

Wie muss die Arbeitszeit erfasst werden?
Der BAG-Beschluss enthält keine Vorgaben zur konkreten Form der Aufzeichnung. In den richterlichen Orientierungssätzen zur Entscheidung wird betont, dass es sich nicht zwingend um eine automatisierte, elektronische Zeiterfassung handeln muss. Vielmehr könnten auch die Erfassung etwa in einer Excel-Tabelle oder Aufzeichnungen in Papierform genügen. Außerdem kann die Aufzeichnung der Zeiten an den Arbeitnehmer delegiert werden.

  • Die Arbeitszeiten müssen aber so erfasst werden, dass die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten auch nachvollzogen und kontrolliert werden können. Reine Schichtpläne reichen nicht.
  • Außerdem muss das System nicht nur angeboten, sondern auch tatsächlich genutzt werden. Arbeitgeber können also ihren Mitarbeitern nicht freistellen, ob sie das Zeiterfassungssystem nutzen oder nicht.

Was ist mit Vertrauensarbeitszeit?
Über Vertrauensarbeitszeit wird im Zusammenhang mit dem BAG-Beschluss viel diskutiert. Ob Vertrauensarbeitszeit weiterhin möglich ist, hängt letztlich davon ab, was genau man unter dem Begriff der Vertrauensarbeitszeit versteht:

Wenn gemeint ist, dass nicht nur keinerlei arbeitgeberseitige Vorgaben zur Arbeitszeit gemacht werden, sondern der Arbeitnehmer zu beliebigen Zeiten (möglicherweise auch über Höchstarbeitszeiten hinaus) arbeitet und keinerlei Aufzeichnungen geführt werden, ist sie in dieser Form nicht möglich. Eine solche Gestaltung war aber auch schon vor der BAG-Entscheidung problematisch. Denn auch wenn keine Pflicht zur konkreten Erfassung bestand: Auch bisher bestand unzweifelhaft die arbeitgeberseitige Pflicht, etwa für die Einhaltung der Höchstarbeitszeiten zu sorgen.

Wenn mit Vertrauensarbeitszeit allerdings nur gemeint ist, dass der Arbeitgeber keine konkreten Vorgaben zu Beginn und Ende der Arbeitszeiten macht und der Arbeitnehmer die zeitliche Lage und Dauer seiner Arbeit (innerhalb der Grenzen des Arbeitszeitgesetzes) selbst bestimmt, ist dies weiterhin denkbar. Es besteht aber die Pflicht, die tatsächlich geleistete Arbeitszeit zu erfassen (was auch an den Arbeitnehmer delegiert werden kann). In diesem Sinne ist Vertrauensarbeitszeit weiterhin möglich.

Was ist mit leitenden Angestellten?
Eine Zeiterfassungspflicht für leitende Angestellte im Sinne des § 5 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) lässt sich dem BAG-Beschluss nicht entnehmen.

Da es in der BAG-Entscheidung um die Reichweite von Initiativrechten des Betriebsrates ging, konnten hier ohnehin leitende Angestellte im Sinne des Betriebsverfassungsrechtes nicht erfasst sein, da diese auch nicht vom Betriebsrat vertreten werden. Darüber hinaus ist auch das Arbeitszeitgesetz mit den dort geregelten Höchstarbeitszeiten auf leitende Angestellte nicht anwendbar.

Bitte beachten Sie: Die Ausnahme von der Zeiterfassungspflicht für leitende Angestellte betrifft derzeit nur leitende Angestellte im Sinne von § 5 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Hier bestehen allerdings hohe Anforderungen: Nicht jeder Arbeitnehmer mit einer Leitungsfunktion ist auch leitender Angestellter gemäß § 5 Abs. 3 BetrVG. Kennzeichen für leitende Angestellte nach § 5 Abs. 3 BetrVG ist insbesondere, dass sie zur selbstständigen Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind. Das ist faktisch nur bei sehr wenigen Arbeitnehmern der Fall.

Quelle: IHK München

Dr. Jens Jasper

Dr. Jens Jasper

Recht und Steuern,
IHK-Zentrale
Position: Bereichsleiter
Schwerpunkte: Wirtschaftsrecht, Arbeitsrecht, außergerichtliche Streitbeilegung, Sachverständigenwesen, Steuern, IHK-Gremium Kreis Tübingen: Geschäftsführung, Koordination Hoheitliche Aufgaben
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