Regionale Wirtschaft anno 1949
Sprung in der Marktwirtschaft
Das Jahr starteten die seinerzeitige IHK-Spitze mit Optimismus. Kaum sechs Monate nach der Währungsreform hofften Präsident Hans Kern und Geschäftsführer Dr. Georg Stecher auf die Beseitigung der Zonengrenzen in Westdeutschland, eine bessere Versorgungslage und ausreichende Rohstoff-Versorgung. So schrieben sie es in ihrem Grußwort zum Jahreswechsel.
Doch Optimismus und Realität sind bekanntermaßen zwei Seiten. Der Jahresband der 1949er IHK-Mitteilungen legt auf 200 Seiten in vielen Facetten dar, was den heimischen Unternehmen fehlte.
Großes Thema war die Energie. Sie war Mangelware, weil die Kohlenlieferungen immer noch zu gering ausfielen. Die Folge: Betriebe aus Industrie, Handel und Handwerk bekamen tagsüber Stromkontingente, die bei 80 Prozent des angemeldeten Bedarfs lagen. Wohl dem, der auch nachts arbeitete: Nachtstrom bekam man im Frühjahr 1949 ohne Einschränkungen. Die IHK-Mitteilungen gaben sogar Beispielrechnungen mit auf den Weg, wie Betriebe ihren Bedarf in einer Mischung aus Tag- und Nachtstrom decken könnten. Interessant und sogar heute noch aktuell: Der Aufruf der IHK an die Betriebe, Energie besser zu nutzen und einzusparen.
Auch bei der Kreditversorgung der Betriebe klemmte es. So erfährt der geneigte Leser, dass eine „Kreditanstalt für Wiederaufbau“ gegründet wurde, die eben Geld für Unternehmen und ihre Investitionen zur Verfügung stellen soll und Anträge möglich sind. Als KfW besteht diese Förderbank heute noch.
Viele der oft kurz und schnörkellos geschrieben Meldungen fördern ganz praktische Probleme des unternehmerischen Alltags zu Tage. Wie bringt man die Ausfuhr-Regelungen zwischen französischer Zone und der Bizone von US-Amerikanern und Briten unter einen Hut (Die Antwort: oft gar nicht). Wie sieht die Eröffnungsbilanz mit der D-Mark aus (Unter uns: Steuerrecht war schon damals kompliziert). Oder: Welche Codes dürfen bei Telegrammen im Geschäftsverkehr verwendet werden (wer kennt noch Telegramme)?
Und doch: Aus den IHK-Mitteilungen strömt auch Aufbruchstimmung: In Reutlingen fand in der List-Halle eine „Internationale Motorschau“ statt – für Kfz-Handel, Logistikunternehmen, Landwirtschaft und Handwerk, und später im Jahr eine Auslandswarenschau, die zeigte, was in anderen Ländern sprichwörtlich gerade in Mode war. Im Nachbericht heißt es, dass „Jersey-Kleider für Aufsehen sorgten“. Beim Vergleich von Haushaltsartikeln aus den USA zu hiesigen zeigen sich die Mitteilungen sicher, dass „der ausländische Vorsprung in absehbarer Zeit“ zu erreichen wäre.
Die IHK gründete zusammen mit drei Nachbarkammern ein „Büro für Außenhandel“, um den Export wieder anzuschieben und beteiligte sich an einer ersten Reise in die USA, um dort neue Kontakte machen zu können. In einem komplett abgedruckten Vortrag vor IHKs plädierte Ludwig Erhard, da noch nicht Wirtschaftsminister, dafür, den Sprung in die Marktwirtschaft zu wagen. Heute keine Frage, damals aber wohl doch.
Gegen Ende des Jahres veröffentlicht die IHK ihren Konjunkturbericht. Von „nachhaltig wirkendem Auftrieb“ ist die Rede, die Produktion steigt, der Gütertransport ebenfalls und der Konsum belebt sich weiter. Das, was wir heute Wirtschaftswunder nennen, scheint sich anzubahnen. Derweil gründete sich die Dachorganisation der IHKs in Westdeutschland neu und forderte in einem ersten Papier unter anderem, dass die öffentlichen Haushalte sparsamer mit den Einnahmen umgehen sollten. In 75 Jahren scheinen sich manche Themen nicht zu ändern.
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