EU-Lieferkettengesetz
Mehr Verantwortung für Unternehmen
Am 23. Februar 2022 hat die Europäische Kommission ihren Entwurf der EU-Richtlinie über die unternehmerische Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit veröffentlicht. Die sogenannte „EU-Lieferketten-RL“ ((EU) 2019/1937) verpflichtet Unternehmen, in ihrer gesamten Wertschöpfungskette eine Sorgfaltsprüfung durchzuführen sowie Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsaspekte in ihre Geschäftsstrategie mit einzubeziehen. Neben dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz („Lieferkettengesetz“), das 2023 in Kraft treten wird, gibt es bereits Lieferkettengesetze in Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien, Australien und den USA.
EU-Richtlinie geht über deutsches Lieferkettengesetz hinaus
Die geplante EU-Lieferketten-RL soll zudem die Unternehmensleitung in die Pflicht nehmen. Ein gravierender Unterschied zum deutschen Lieferkettengesetz ist die Einführung einer zivilrechtlichen Haftung von Unternehmen. Eine solche zivilrechtliche Haftung hatte der deutsche Gesetzgeber im Lieferkettengesetz noch explizit ausgeschlossen, sie wäre mit der EU-Lieferketten-RL zukünftig in das deutsche Recht aufzunehmen. Unternehmen, die von der EU-Lieferketten-RL betroffen sind, sollten deshalb bereits jetzt ihre Geschäftstätigkeiten als auch ihre Wertschöpfungskette auf die EU-Lieferketten-RL vorbereiten. Die EU-Lieferketten-RL wird frühestens 2024 in Kraft treten, doch diese Vorlaufzeit wird benötigt, um unternehmensintern die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die wesentlichen Punkte der geplanten EU-Lieferketten-RL, die Unternehmen in Bezug auf ihre globalen Lieferketten beachten müssen, und erklärt, wie Sie sich in diesem neuen Rechtsrahmen zurechtfinden und was Sie beachten müssen, um Ihr Unternehmen auf die EU-Lieferketten-RL vorzubereiten.
Anwendungsbereich in der EU und weit darüber hinaus
Der weite Anwendungsbereich der EU-Lieferketten-RL soll für EU-Unternehmen als auch für Unternehmen aus Drittstatten gelten, die ihre Produkte und Dienstleistungen in der EU anbieten. Dabei ist unerheblich, ob unionsfremde Unternehmen einen Standort in der EU haben. Das deutsche Lieferkettengesetz gilt demgegenüber für Unternehmen aus Drittstaaten nur dann, wenn das ausländische Unternehmen über eine Zweigniederlassung in Deutschland verfügt. Diese extraterritoriale Anwendung der EU-Lieferketten-RL ist positiv zu bewerten, weil die EU-Lieferketten-RL hierdurch einen harmonisierten Rechtsrahmen in der EU schafft, der für Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgt.
Dem Entwurf ist aber auch zu entnehmen, dass die EU-Lieferketten-RL in vielen Bereichen eine deutlich restriktivere Regelung für Unternehmen enthalten wird als das deutsche Lieferkettengesetz. Die neuen EU-Due-Diligence-Anforderungen gelten dementsprechend für die nachfolgenden Unternehmen:
- Gruppe 1: Große EU-Unternehmen mit mindestens 500 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von mindestens 150 Millionen Euro weltweit.
- Gruppe 2: Weitere EU-Unternehmen, die in bestimmten ressourcenintensiven Sektoren tätig sind und mehr als 250 Beschäftigte und einen Nettoumsatz von mindestens 40 Millionen Euro weltweit haben (für diese Unternehmen gelten die Regeln zwei Jahre später als für Gruppe 1).
Unternehmen aus Drittstaaten, die in der EU tätig sind und deren Umsätze in der EU denen der Gruppe 1 oder 2 entsprechen.
Der Anwendungsbereich des EU-Richtlinienentwurfs ist entsprechend deutlich weiter gefasst als der Anwendungsbereich des deutschen Lieferkettengesetzes, nach dem „nur“ Unternehmen mit zunächst mindestens 3.000 und später 1.000 Mitarbeitenden bestimmte Sorgfaltspflichten zum Schutz von Menschenrechten und Umweltstandards erfüllen müssen.
Zudem sind für Unternehmen, die teilweise oder erstmals die Schwelle der erforderlichen Mitarbeitendenzahl bzw. die Umsatzanforderungen der EU-Lieferketten-RL erfüllen, bisher keine Übergangszeiträume eingeräumt, sodass diese bereits vor Erreichen der Schwellwerte aufgrund des gravierenden Haftungsregimes die EU-Lieferketten-RL umsetzen müssten, obgleich diese noch nicht anwendbar ist. Immerhin findet die EU-Lieferketten-RL auf KMU keine unmittelbare Anwendung, diese werden jedoch durch Weitergabeklauseln indirekt betroffen sein, wenn der Vertragspartner diese – wie es in der Praxis häufig der Fall ist – dem KMU in Form von Allgemeinen Geschäftsbedingungen einseitig vorgibt.
Etablierte Geschäftsbeziehung in der Wertschöpfungskette
Im Gegensatz zum deutschen Lieferkettengesetz erfasst die geplante EU-Lieferketten-RL nicht „lediglich“ die Lieferketten von Unternehmen, sondern durch die Verwendung des weiter gefassten Begriffs der „etablierten Geschäftsbeziehung in der Wertschöpfungskette“ auch Tätigkeiten, die mit der Herstellung von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen durch ein Unternehmen verbunden sind, einschließlich der Entwicklung des Produkts oder der Dienstleistung und der Nutzung und Entsorgung des Produkts, sowie die damit verbundenen Tätigkeiten der vor- und nachgelagerten Geschäftsbeziehungen des Unternehmens.
Durch den Bezug der „etablierten Geschäftsbeziehung“ auf die Wertschöpfungskette ergibt sich eine deutliche Ausweitung der Sorgfaltspflichten. Während nach dem deutschen Lieferkettengesetz Sorgfaltspflichten derzeit bei unmittelbaren Zulieferern bestehen und erst bei “substantiierter Kenntnis” von Pflichtverletzungen auch bei mittelbaren Zulieferern, differenziert die EU-Lieferketten-RL nicht zwischen mittelbaren und unmittelbaren Zulieferern, sondern stellt allein auf eine „etablierte Geschäftsbeziehung in der Wertschöpfungskette“ ab. Das Vorliegen einer etablierten Geschäftsbeziehung ist bisher nur abstrakt definiert und daher als unbestimmter Rechtsbegriff nicht unbedenklich.
Sorgfaltspflichten nach der EU-Richtlinie
Um ihre Sorgfaltspflichten gemäß der EU-Lieferketten-RL zu erfüllen, müssen Unternehmen unter anderem
- die menschenrechts- und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten zum festen Bestandteil ihrer Unternehmenspolitik machen,
- eine menschenrechtliche und umweltbezogene Due Diligence durchführen,
- tatsächliche oder potenzielle negative Auswirkungen auf Menschenrechte und die Umwelt identifizieren,
- solche negativen Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt verhindern, beheben oder minimieren,
- ein Beschwerdeverfahren einrichten,
- eine regelmäßige Evaluierung (alle 12 Monate oder bei neuen Risiken) ihrer eigenen Tätigkeiten sowie ihrer Tochtergesellschaften und der Wertschöpfungsketten mit Blick auf negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt durchführen,
- die Wirksamkeit der Maßnahmen zur Einhaltung der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflicht überwachen;
- auf ihrer Website eine jährliche Stellungnahme zu den von der EU-Lieferketten-RL erfassten Themen veröffentlichen,
- sicherstellen, dass Geschäftsmodell und Unternehmensstrategie mit dem Ziel der Bekämpfung des Klimawandels vereinbar sind.
Bußgeld, zivilrechtliche Haftung und Ausschluss von Subventionen
Die durch die EU-Lieferketten-RL geschaffenen Standards zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten im Bereich Nachhaltigkeit sollen durch folgende Maßnahmen durchgesetzt werden:
- Beaufsichtigung durch die Verwaltung: Deutschland und die weiteren EU-Mitgliedstaaten sollen eine nationale Behörde benennen, die für die Überwachung und Verhängung wirksamer, verhältnismäßiger und gleichzeitig abschreckender Sanktionen, einschließlich umsatzabhängiger Geldbußen, und für Maßnahmen zur Einhaltung der EU-Lieferketten-RL zuständig ist. Für eine harmonisierte Anwendung der EU-Lieferketten-RL soll ein europäisches Netz von Aufsichtsbehörden eingerichtet werden, um ein koordiniertes Vorgehen in der gesamten EU zu gewährleisten. Entscheidungen der nationalen Aufsichtsbehörden gegenüber Unternehmen, die Sanktionen im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Bestimmungen des EU-Richtlinienvorschlags betreffen, sollen veröffentlicht werden (Naming and Shaming).
- Zivilrechtliche Haftung: Im Unterschied zum deutschen Lieferkettengesetz soll die EU-Lieferketten-RL eine eigenständige zivilrechtliche Haftung für Verstöße gegen Präventions- und Abhilfemaßnahmen vorsehen: Deutschland und die übrigen EU-Mitgliedsstaaten müssen sicherstellen, dass Betroffene für Schäden, die durch die Nichteinhaltung der Verpflichtungen der EU-Lieferketten-RL entstehen, entschädigt werden. Hierzu sollen die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, für diesen Haftungsanspruch nach nationalem Recht eine Eingriffsnorm zu schaffen, die dazu führt, dass die zivilrechtliche Haftung auch dann anwendbar sein soll, wenn das nationale Recht des relevanten Mitgliedstaats grundsätzlich nicht einschlägig wäre.
Hier besteht die Gefahr, eine Klageindustrie zu begründen, die sich insbesondere aus der im deutschen Lieferkettengesetz vorgesehenen Prozessstandschaft von NGOs und Gewerkschaften und der damit verbundenen Klagemöglichkeit der Betroffenen ohne Kostenrisiko ergeben kann. Unternehmen können ihr Haftungsrisiko verringern, indem sie versuchen, potenzielle negative Auswirkungen auf Menschenrechte oder Umwelt zu verhindern oder tatsächliche negative Auswirkungen zeitnah zu beheben. Nach dem ansonsten geltenden nationalen Deliktsrecht haften Unternehmen in den meisten Konstellationen bisher nicht für das Fehlverhalten Dritter in ihrer Lieferkette.
Ausschluss von öffentlichen Subventionen: Die EU-Mitgliedstaaten sollen sicherstellen, dass Unternehmen, die eine öffentliche Förderung beantragen, nachweisen, dass gegen sie keine Sanktionen bestehen, weil sie den Verpflichtungen aus der EU-Lieferketten-RL nicht nachgekommen sind.
Verantwortung des Managements
Die EU-Lieferketten-RL bezieht Führungskräfte (unter anderem Management, Geschäftsführer, Vorstand und Aufsichtsrat) in die Verantwortung unter der EU-Lieferketten-RL mit ein, um sicherzustellen, dass die Sorgfaltspflichten Teil der Unternehmensstrategie werden. Deutschland und die übrigen EU-Mitgliedstaaten müssen zudem dafür sorgen, dass ihre Rechtsvorschriften für Verstöße gegen die gesetzlichen Pflichten von Führungskräften auch für Verstöße gegen diese Standards der EU-Lieferketten-RL gelten.
Wie können sich Unternehmen vorbereiten?
Die EU-Lieferketten-RL muss zunächst von der EU verabschiedet und dann in nationales deutsches Recht umgesetzt werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass die EU-Lieferketten-RL in naher Zukunft verabschiedet wird und zu einer Novellierung und Verschärfung des deutschen Lieferkettengesetzes führen wird. Für Unternehmen ist es daher ratsam, in einem ersten Schritt die Standards des deutschen Lieferkettengesetzes zeitnah zu implementieren, um sich auf die kommende EU-Lieferketten-RL vorzubereiten und damit gleichzeitig als zuverlässiger Partner für Geschäftspartner auch den eigenen Wert und die Reputation zu steigern.
Den Unternehmen ist außerdem zu empfehlen, einen verbindlichen Code of Conduct zu etablieren, ihre Wertschöpfungsketten und Lieferverträge anzupassen (unter anderem Kündigungsrechte, Freistellungsklauseln, Vertragstrafen und Auskunftsansprüche bzgl. der nachfolgenden Lieferkette) und bereits bei der Auswahl der Lieferanten verstärkt auf deren Zuverlässigkeit und die Beschaffungsländer zu achten. Schließlich sollten Unternehmen ihre bestehenden globalen Lieferketten einer Due Diligence im Hinblick auf mögliche Verstöße gegen Menschenrechts- oder Umweltstandards unterziehen und insbesondere neue Lieferanten genau unter die Lupe nehmen
Quelle: Franz D. Kaps, Rechtsanwalt und Associate, Baker McKenzie, Frankfurt am Main und Silke Helmholz, Rechtsanwältin (Syndikusrechtsanwältin), IHK Region Stuttgart
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