Zwischen Tradition und Moderne

Betriebe im Fluss

Wasserkraftwerke sind seit dem 19. Jahrhundert an Flüssen zu finden, Mühlen sogar noch länger. Die Mühlrad-Romantik früherer Tage ist dabei jedoch längst Geschichte: Ortstermin bei zwei Betrieben, die sich erfolgreich für die Zukunft aufgestellt haben.

Wasserkraftwerk in Reutlingen-OferdingenDie Reitter Wasserkraftanlagen GmbH & Co. KG betreibt in der Region fünf Wasserkraftwerke. Das Foto zeigt die Anlage in Reutlingen-Oferdingen. Foto: PR

Wer an erneuerbare Energien denkt, denkt meist zuerst an Solarmodule oder Windräder, aber nicht an Wasserkraftwerke. Dabei lag der Anteil der Wasserkraft an der Bruttostromerzeugung in Baden-Württemberg im vorigen Jahr bei immerhin 7,6 Prozent. Damit belegte sie laut dem baden-württembergischen Umweltministerium unter den erneuerbaren Energien Platz 2, hinter der Photovoltaik (14,4 Prozent) und noch vor der Windenergie (5,4 Prozent).

Elmar Reitter überrascht diese Zahl nicht. „Wir haben früh erkannt, dass in der Nachhaltigkeit und in der Dezentralität die Kraft liegt“, sagt der Geschäftsführer der Reitter Wasserkraftanlagen GmbH & Co. KG. „Vor 50 Jahren haben wir an der Donau klein angefangen, um die Kosten unserer energieintensiven Holzstofffabrik zu kompensieren.“ Während andere Energiekonzerne sich mit den Jahren von den Kleinanlagen lösten, um andere Energiesektoren zu stärken, setzt Reitters Firma noch heute auf das Wasser als regenerative Energiequelle.

Stabile Stromerzeugung
Fünf seiner mehr als 22 Wasserkraftanlagen betreibt und verwaltet das Unternehmen in Gesellschaftsbeteiligung in der Region Neckar-Alb – an Neckar, Erms und Großer Lauter. Die Leistung der modernisierten und automatisierten Anlagen in den Reutlinger Stadtteilen Altenburg und Oferdingen, in Dettingen an der Erms und in Hayingen-Indelhausen liegt zwischen 30 und 850 Kilowatt.

„Unser Strom ist wertvoll“

Elmar Reitter, Reitter Wasserkraftanlagen GmbH & Co. KG

Die Gesellschafter sind in die Geschäfte, Entscheidungen und Investitionen eingebunden. Die Geschäftsführung mit betriebswirtschaftlichem und technischem Know-how liegt bei Reitter. Das Unternehmen kümmert sich um die Instandhaltung und die Maschinenüberwachung, aber auch um die Störungsbeseitigung und die Stromvermarktung. „Unser Strom ist wertvoll“, sagt Reitter. „Wir sind grundlastfähig und können durch die hohe Verfügbarkeit die Netze stabilisieren.“ Das aber werde auf dem Strommarkt nicht entsprechend abgegolten, genauso wenig die CO₂-Freiheit. Immerhin: „2022 haben wir bei den gestiegenen Strompreisen teilweise gute Erlöse erzielen können.“ Mit Blick auf die erforderlichen Investitionen reiche die aktuelle Vergütung aber nur gerade so aus.

Ein Beispiel für eine solche Investition ist die Fischtreppe an der Anlage in Reutlingen-Oferdingen. Sie befindet sich bereits seit 2009 im Genehmigungsverfahren. „Durch ständig neue Erkenntnisse wird laufend in das Verfahren eingegriffen und immer wieder umgeplant“, klagt Reitter. Wenn die Treppe, wie er hofft, 2024 nach 15 Jahren endlich gebaut wird, werden die Kosten bei 2 Millionen Euro liegen. Daher würde er es begrüßen, wenn  sich die Langlebigkeit und Nachhaltigkeit seiner Anlagen sowie die Flexibilität und Kontinuität ihrer Stromerzeugung auch in der Vergütung widerspiegeln würde. „Wir denken sehr nachhaltig und langfristig“, betont Reitter.

Mühle in Bauernhand
Nur unweit der Oferdinger Wasserkraftanlage am Reutlinger Neckar liegt die Oferdinger Mühle. Die einstige Wassermühle zählt seit 2019 zur Rebio – einer regionalen Bioland-Erzeugergemeinschaft, der im Südwesten von Baden-Württemberg 180 Landwirtinnen und Landwirte angehören. „Die Mühle ist in Bauernhand“, sagt Sybille Metzler, zuständig für die Verwaltung und den Vertrieb der Oferdinger Mühle. Die Geschäftsbeziehung zwischen Mühle und Rebio besteht seit Anfang der 1990er-Jahre.

„Neben den Energiepreisen ist das Klima für uns ein großes Thema“

Sybille Metzler, Oferdinger Mühle

Die Erzeugergemeinschaft liefert Weizen, Roggen, Dinkel, Emmer und Einkorn, die in der Mühle hauptsächlich zu Mehl gemahlen werden. Dieses wird vor allem an regionale Bäckereien, wie die Reutlinger Vollkornbäckerei Berger, ausgeliefert. Ein Teil wird für Edeka abgefüllt, ein anderer wird unter der eigenen Marke „Landmacher“ verkauft. Hinzu kommen Linsen und Kleinsaaten. Im Mühlenladen werden die Mehle in der gängigen Haushaltsgröße, aber auch in Packungen zu zweieinhalb, fünf und 25 Kilogramm angeboten. „Mit der Mühle gehen wir die Wertschöpfungskette bis zum Ende – vom Korn bis zum Brot beim Bäcker.“

Zukunftsfest aufgestellt
Erstmals erwähnt wird die Mühle laut Mühlendatenbank 1850. Und auch wenn sie bereits vor mehreren Jahrzehnten elektrifiziert wurde und längst nicht mehr von einem Mühlrad angetrieben wird: Die malerische Lage am Neckar ist geblieben. In den vergangenen Monaten wurden die Walzenstühle saniert und teils ersetzt, die Roggenvermahlung optimiert und bestimmte Abläufe für ein effizienteres und stromsparendes Arbeiten angepasst, um die Mühle zukunftsfest aufzustellen und neue Kundschaft zu gewinnen.

IHK Reutlingen, Tübingen und ZollernalbMüllerin Katharina Schroer prüft das Getreide, das im Anschluss zu Mehl gemahlen wird. Foto: Jürger Lippert

Die Oferdinger Mühle ist zu 100 Prozent eine Bio-Mühle, angefangen beim angelieferten Getreide über das Hygienemanagement bis hin zur Verarbeitung. „Dem Mehl werden keinerlei Zusatzstoffe zugesetzt“, so Metzler. Allerdings sei es mit der Zeit schwerer geworden, neue Verarbeiter für das Mehl zu finden. Oft fehlten potenziellen Betrieben die zeitlichen und personellen Kapazitäten, um auf Bioprodukte umzustellen.

„Neben den Energiepreisen ist das Klima für uns ein großes Thema“, sagt Sybille Metzler. „Das Getreide kann noch gut eingefahren werden, aber wir versuchen die Palette an Ackerfrüchten durch den Anbau von Bohnen, Kichererbsen und verschiedenen Linsensorten zu erweitern. Damit wollen wir Landwirten, die in trockeneren Regionen anbauen, eine Alternative aufzeigen und helfen, die Vermarktung aufzubauen.“ /

(Dieser Artikel erschien in der WNA-Ausgabe 8+9/2023.)